Das Unsichtbare sehen

Grundlagen und Anwendungen der IR-Bildverarbeitung

Das Unsichtbare sehen

Mit Infrarotkameras können die Grenzen des menschlichen Sehens überwunden werden. Was macht solche Kameras aus? Welche Anwendungsmöglichkeiten eröffnen sie?
Die Digitale Bildverarbeitung hat in den vergangenen Jahren viele Anwendungsgebiete erobert. Besonders durch hohe Bildraten übertreffen Machine Vision-Systeme bei weitem die Möglichkeiten des menschlichen Sehens. Mit Infrarotkameras erfolgt der nächste Innovationsschritt, nämlich die Bildverarbeitung außerhalb des für uns Menschen sichtbaren Lichts. Durch sie eröffnen sich neue Anwendungsgebiete für die industrielle und wissenschaftliche Bildverarbeitung.

Jenseits des Sichtbaren: Infrarot

Infrarotlicht strahlt außerhalb des für Menschen sichtbaren Spektrums (ca. 400 bis 750nm). Obwohl oft vom Infrarotspektrum als Ganzem gesprochen wird, erstreckt es sich über eine etwa 300mal so weite Bandbreite (1-100µm) wie das sichtbare Licht. Deshalb wird das Infrarotspektrum in der Fachwelt gern in Subkategorien unterteilt:

  • • Nah-Infrarot oder Near-Infrared (NIR): 0,75 bis 1µm
  • • Kurzwellen-Infrarot oder Short-Wave-Infrared (SWIR): 1 bis 2,7µm
  • • Mittelwellen-Infrarot oder Mid-Wave-Infrared (MWIR): 3 bis 5µm
  • • Langwellen-Infrarot oder Long-Wave Infrared (LWIR): 8 bis 14µm
  • • Ultra-Langwellen-Infrarot oder Ultra-Long-Wave-Infrared (ULWIR): 14 bis 30µm

Die Grenzwerte dieser einzelnen Subkategorien sind leider nicht normiert und können je nach Quelle voneinander abweichen. Bild 1 zeigt die Unterteilung des Spektralbereichs, wie sie Allied Vision Technologies definiert. Diese orientiert sich an den spektralen Empfindlichkeiten gängiger Bildgebungssensoren. Jedes Objekt strahlt Infrarotwellen aus. Die Intensität der Strahlung hängt dabei von der Temperatur ab. Je intensiver die Strahlung, desto geringer wird die Wellenlänge. Ab ca. 600°C ist die Intensität der Strahlung so hoch, dass die Wellenlänge den Infrarotbereich verlässt und die Strahlung von Menschen als Licht wahrgenommen werden kann. Somit sehen wir z.B. Stahl mit steigender Temperatur erst rot und dann gelb glühen, bis es schließlich weiß wird.

InGaAs-Kameras für Industrieanwendungen

In der Industrie werden zunehmend Kurzwelleninfrarotkameras (SWIR) verwendet. Diese basieren auf anderen Bildsensoren als konventionelle CCD- und CMOS-Kameras. Zwar handelt es sich hier auch um Quantensensoren, die Photonen in Elektronen umwandeln, ihre fotosensitive Fläche besteht aber nicht aus Silizium, sondern aus anderen Materialien – vornämlich Indium-Gallium-Arsenid (InGaAs). Je nach chemischer Zusammensetzung des photosensitiven InGaAs-Substrats und nach Aufbau des Sensors können diese in Wellenlängenbereichen zwischen 0,4µm und 2,7µm empfindlich sein. Im Unterschied zu einem CCD- oder CMOS-Sensor, der ausschließlich aus Silizium besteht, setzt sich ein InGaAs-Sensor aus verschiedenen Werkstoffen zusammen. Bild 2 zeigt den Aufbau eines InGaAs Sensors: Auf einem CMOS-Auslesechip stapeln sich eine InGaAs- und eine InP-Schicht (Indiumphosphid). Die Stärke der InP-Schicht bestimmt die spektrale Empfindlichkeit des Sensors in Richtung sichtbaren Lichts. Aufgrund dieser komplexen, hybriden Architektur sind InGaAs-Sensoren sehr aufwändig zu produzieren und entsprechend teuer. Hinzu kommt, dass es nach heutigem Stand der Technik nicht möglich ist, die fotosensitive Fläche mit hundertprozentiger Genauigkeit mittels Flip-Chip Bondings mit dem Ausleseschaltkreis (ROIC= Read-Out Integrated Cicuit) zu verbinden. Das Ergebnis ist im Vergleich zu CCD- und CMOS-Chips ein relativ hoher Anteil (< 1%) an defekten Pixeln. Aus diesem Grund ist eine ausgeklügelte Bildkorrektur in der Kamera oder auf PC-Seite notwendig. Neben InGaAs können im SWIR-Bereich auch Quecksilber-Cadmium-Tellurit (HgCdTe, auch MCT für Mercury Cadmium Telluride genannt) oder Indium-Antimon (InSb) als photosensitive Materialien eingesetzt werden. Diese Sensortechnologien erzeugen jedoch einen höheren Dunkelstrom, der sich in Form von Rauschen im Bild manifestiert. Ein akzeptabler Signal-Rauschabstand lässt sich meist nur mit einer aktiven Kühlung des Sensors erreichen. MCT-, QWIP- (Quantum Well Infrarot Photodetektoren) oder InSb-Sensoren erfordern dabei eine wesentlich stärkere und kostspieligere Kühlung (auf ca. 77K) als InGaAs-Sensoren (auf ca. 300K). Letztere weisen auch bei Raumtemperatur und kurzen Belichtungszeiten (< 100ms) eine gute Bildqualität auf. Deshalb sind sie auch in industriellen Anwendungen am weitesten verbreitet.

Anwendungen

Viele Materialien verhalten sich unter Infrarotlichteinwirkung anders als im sichtbaren Licht. Diese Eigenschaften können für eine Vielzahl von Bildverarbeitungsanwendungen genutzt werden, indem man Infrarotkameras einsetzt, die in bestimmten Spektralbereichen eine entsprechend hohe Empfindlichkeit aufweisen. Ein typisches Beispiel ist Wasser: Im sichtbaren Spektrum ist Wasser farblos bzw. transparent. Im Infrarotbereich, insbesondere bei Wellenlängen um 1.450nm und 1.950nm, absorbiert Wasser hingegen die Strahlung und erscheint entsprechend dunkel im Infrarotbild. Dieser Effekt kann durch Einsatz entsprechender Bandpassfilter noch verstärkt werden, so dass es möglich ist, die Wasserkonzentration in Pflanzen oder organischen Produkten zu messen und zu lokalisieren. Auf diese Weise werden beispielsweise in der Lebensmittelindustrie Druckstellen an Obst und Gemüse erkannt, bevor sie an der Oberfläche des Produkts sichtbar sind. Mit Infrarotkameras lässt sich auch die Füllmenge von Flaschen und Behältern leichter erkennen als mit konventionellen Kameras – selbst bei undurchsichtigen Verpackungen. Die unterschiedlichen Absorptions- bzw. Durchlässigkeitseigenschaften von Werkstoffen werden darüber hinaus auch für die zerstörungsfreie Prüfung von Fertigprodukten verwendet. So wird beispielsweise bei der Produktion von Spritzen für die Medizin die Nadel in einer sterilen Umgebung an der Spritze befestigt und mit einer für den Menschen meist undurchsichtigen Schutzkappe aus Kunststoff versehen. Im Infrarotbild ist diese Schutzkappe jedoch durchsichtig, sodass ein Bildverarbeitungssystem die Anwesenheit der Nadel automatisch prüfen kann, ohne deren sterilen Schutz zu gefährden. Auch Silizium ist für Infrarotwellen bei ca. 1150nm durchlässig und dadurch im Infrarotbild transparent. Diese Eigenschaft wird in der Halbleiterindustrie genutzt, um Schaltungsstrukturen innerhalb des Wafers zu prüfen oder um metallische Kontakte auf der Rückseite von TFT-Displays sichtbar zu machen. In der Elektronik- und Solarindustrie werden Elektrolumineszenz (die Emission von Licht unter dem Einfluss einer elektrischen Spannung) und Photolumineszenz (die Emission von Licht unter dem Einfluss von Licht anderer Wellenlänge) zur Qualitätsprüfung von Wafern und Solarzellen verwendet. Elektrolumineszenz wird genutzt, um am Ende des Fertigungsprozesses Mikrorisse und Druckfehler hervorzuheben, während Photolumineszenz schon während der Produktion eingesetzt werden kann. SWIR-Kameras eignen sich besonders für diese Art der Qualitätsprüfung, weil das vom Silizium ausgestrahlte Licht bei 1150nm seine höchste Intensität hat.

Fazit

Mit Infrarotkameras kann die industrielle Bildverarbeitung die Grenzen des menschlichen Sehens durchbrechen. SWIR-Kameras mit InGaAs-Sensoren sind dafür prädestiniert. Doch die Qualität des gelieferten Bildes hängt maßgeblich von der Fähigkeit der Kamera ab, durch aktive Kühlung, rauscharmes Design und clevere Bildkorrekturen das Beste aus dem Sensor herauszuholen.

Allied Vision Technologies GmbH

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