Die Königsdisziplin

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Automatische Greifzellen für die Massivumformung

Die Branche Massivumformung verarbeitet jährlich ca. 2,4Mio. Tonnen Stahl zu Stückgut. Da es nicht möglich ist, den innerbetrieblichen Transport der Teile unter Beibehaltung einer definierten Lage zu realisieren, müssen die Teile ein- oder mehrmals als Schüttgut transportiert werden. Deshalb werden sie für eine Weiterverarbeitung manuell den Transportkisten entnommen und der nächsten Arbeitsstation zugeführt. Seit langem wird versucht, den robotergesteuerten ‚Griff in die Kiste‘ unter Einbindung optischer Systeme zu realisieren. Die Lösungen waren aber bislang nur auf Spezialfälle anwendbar.
Das Ziel des Projektes bestand darin, aufbauend auf bestehende Basistechnologien, eine automatische Roboter-Greifzelle für die Massivumformung zu entwickeln und den industriellen Einsatz zu optimieren. Folgende Fragestellungen standen im Vordergrund:

  • • Welche Teilegeometrien sind sicher automatisch zu greifen?
  • • Welche Nullpunktsicherheit (Greifgenauigkeit) ist bei diesen Teilen für den nachfolgenden Prozess zu erreichen?
  • • Wie sind die letzten Teile in der Kiste sicher zu erkennen und zu greifen?
  • • Wie ist die erforderliche kurze Taktzeit bei Massivumform-Verfahren zu erreichen?
  • • Welche Anforderungen werden an die Beleuchtung gestellt und wie können diese im Umfeld der Massivumformung realisiert werden?
  • • Welche Prozessstabilität ist unter Serienbedingungen zu erreichen, bei Beachtung der in der Schmiede auftretenden Vibrationen durch Pressen sowie Verschmutzung durch den Einsatz von Sprühmitteln?

Bekannte Systeme basieren entweder darauf, dass Kamera samt Laser auf einer Linearachse angeordnet sind, das Objekt selbst in Bewegung ist oder eine Kamera beweglich am Roboter befestigt wird. Damit gehen die bekannten Nachteile bzgl. Schwingungen, Beleuchtung, Messungenauigkeiten und hoher Taktzeit einher. Eine stationäre Anordnung ohne Bewegung der Kamera ermöglicht dagegen ein stabiles Gesamtsystem.

Aufbau der Greifzelle

Das System besteht aus einem ABB Roboter IRB 4600, dem Sick Scanning Ruler PLB500 (Position Locator Box), einem Schunk Greifer PGN+ 200 sowie einem Transportbehälter mit LKW-Pleuel. Der Scanner wird stationär über einem Behälter mit ungeordnet liegenden Bauteilen platziert und detektiert mittels Schwingspiegel die Bauteillage mittels Laser-Triangulation. Aus der aufgenommenen Punktewolke werden mögliche Greifpunkte der Bauteile ermittelt und die Positionsdaten an die übergeordnete Steuerung übertragen. Auf Basis dieser erfolgt die Überprüfung der Erreichbarkeit sowie die Bahnplanung zum kollisionsfreien Ein-/Ausfahren für den Roboter. Für den prozesssicheren Ablauf wird dabei eine umfassende Störkonturbetrachtung zwischen den sich bewegenden und statischen Komponenten durchgeführt. Dazu gehört der Roboter, das am Roboter befestigte Werkzeug, wie Greifer, Ventileinheit und Schläuche, die Kiste, der Scanner selbst sowie die komplette Anlagenperipherie. Anschließend erfolgt die prozesssichere Entnahme der Produktionsteile, die dann direkt dem nachfolgenden Fertigungsprozess zugeführt werden können. Der Sichtbereich des Scanners liegt bei 800×1.200×1.000mm, was einer Europalette entspricht. Bei einer Positionierung von 1.000mm über Oberkante der Kiste wird bei einer Kistenhöhe von 700mm eine ausreichende Tiefenschärfe erreicht, um auch die am Boden liegenden Teile noch sicher erkennen und greifen zu können. Die Auflösung nimmt zum Boden hin um 3mm ab. Vibrationen in der Umgebung erhöhen den Wert, sodass auf eine möglichst schwingungsdämpfende Montage des Scanners zu achten ist. Die zu greifenden Teile dürfen also keine erkennungskritischen Konturen enthalten, die im Bereich dieser Grenzen liegen. Auch der Greiferhub und der Freiraum um das zu greifende Teil muss an die Toleranzen angepasst werden. Je nach Anforderung an den weiterführenden Prozess muss eine Zwischenzentrierung oder, wenn es die Taktzeit erlaubt, eine erneute Vermessung zur genauen Positionsbestimmung vor der Ablage erfolgen.

Taktzeiten von 9s pro Teil

Vom Beginn des Scans bis zum Losfahren des Roboters vergehen ca. 5s. Diese teilen sich auf den Scan selbst, die Errechnung der Greifpunkte, die Störkonturbetrachtung der Greifpunkte sowie der Kollisionsberechnung und Bahnplanung für den Roboter auf. Verwirft z.B. die Bahnplanung den ersten Greifpunkt, so wird ein weiterer möglicher Greifpunkt simuliert, wodurch sich die Berechnungszeit erhöht. Die Fahrt des Roboters in die Kiste, das Greifen des Teiles sowie das Rausfahren und Ablegen nehmen weitere 4 bis 5s in Anspruch. Somit werden Taktzeiten von 10 bis 13s pro Teil erzielt. Da die industrielle Taktzeit bei den zur Verfügung stehenden Pleuel kürzer war, musste weitere Zeit eingespart werden. Dies wurde durch Optimierung der Software, einer höheren Auslastung der Prozessorkapazität sowie der parallel laufenden Prozesse ‚Berechnung‘ und ‚Verfahrzeit des Roboters‘ erreicht. Am Ende ergaben sich Taktzeiten von 9s pro Teil. Zukünftige Rechner mit schnelleren Prozessoren sollten die Berechnungszeit weiter verkürzen.

Fazit

Die getesteten Werkstücke lassen sich sicher erkennen und greifen. Durch das ausgewählte Lasertriangulationsverfahren werden keine besonderen Anforderungen an die Beleuchtung gestellt, auch wechselnde Oberflächen der Werkstücke erkennt das System ohne Probleme. Detaillierte Konturen <5mm werden nicht oder nur unzureichend erkannt. Typische Vibrationen und Schmutz im Schmiedebetrieb können bis zu einem gewissen Grad ausgeglichen werden. Die Taktzeiten variieren zwischen 8 bis 15s pro Teil und erfüllen damit weitestgehend die Anforderungen der Schmiedeindustrie, vor allem bei großen und schweren Teilen, die ergonomisch besonders kritisch sind. Beachtet man alle Kriterien, werden auch die letzten Teile am Behälterboden zuverlässig erkannt und gegriffen. n

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