Grenzen überwinden

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Silicon Software: Vom Framegrabber zu Embedded Vision

Die Geschichte von Silicon Software begann vor 20 Jahren am weltgrößten Teilchenbeschleuniger Cern in Genf. Die dortigen Detektoren erzeugen eine Datenflut von 40Mio. Bildern pro Sekunde. Um daraus etwa zehn bis 100 Bilder mit physikalisch interessante Informationen zu selektieren, entwickelten Dr. Klaus-Henning Noffz und Dr. Ralf Lay die ersten Framegrabber und legten so den Grundstein für ihre eigene Firma.

Bild 1 | Bei Silicon Software rückt neben den klassischen Framegrabbern immer stärker die Software VisualApplets zur FPGA-Programmierung in den Mittelpunkt, glauben die Geschäftsführer Dr. Klaus-Henning Noffz (rechts) und Dr. Ralf Lay (links). (Bild: Silicon Software GmbH)

Wie begann vor 20 Jahren die Geschichte von Silicon Software?

Klaus-Henning Noffz (KHN): An der Universität Mannheim, an der wir damals promovierten, wurde ein hochparalleler Spezialrechner für Cern entwickelt, der auf FPGA-Technologie basierte und die zur Reduktion notwendigen Bildverarbeitungsaufgaben direkt in der Hardware des FPGA bearbeiten konnte. Allerdings wusste damals niemand, wie man einen solchen Multi-FPGA – Rechner effizient programmiert. Auch dort haben wir damals Neuland beschritten und eine eigene Programmiersprache entwickelt. Also war das Projekt nicht nur die Geburtsstunde der ersten microEnable Framgrabber-Serie, sondern auch die von VisualApplets als grafisches Werkzeug für die FPGA-Programmierung. Unser erster großer Kunde war ein Hersteller von Dokumenten-Scannern für Banken.

Silicon Software wird oft als reine Framegrabber-Firma gesehen, stimmt das überhaupt noch?

Ralf Lay (RL): Wir sind kein reiner Framegrabber-Hersteller mehr, denn dank Visual-Applets sind wir auch Softwarehersteller. Allerdings ist unser Profil derzeit durch embedded Vision im Wandel. VisualApplets war bisher an unsere Framegrabber gebunden, embedded-Bildverarbeitung mit FPGAs ist jetzt aber auch in Kameras und Vision-Sensoren möglich. Das Konzept haben wir bereits bei den großen Kamera- und Sensorherstellern Baumer und Sick erfolgreich umgesetzt. Die FPGA-Geräte sind dank VisualApplets ohne HDL-Programmierung grafisch programmierbar, um Echtzeit Applikationen in kurzer Zeit zu realisieren. Diese lassen sich dann auf weitere Geräte portieren, um für eine ganze Produktlinie die Marktverfügbarkeit zu beschleunigen. Mit VisualApplets Expert ist es zusätzlich möglich, eigene, bereits vorhandene HDL-Bibliotheken in VisualApplets weiterzuverwenden. Unsere Produkte und Aufgaben haben sich zwar mittlerweile verändert und den neuen Entwicklungen angepasst, aber der klassische Framegrabber spielt immer noch eine tragende Rolle in unserem Produktportfolio. Auch er hat sich über die Jahre geändert und bietet mittlerweile einen einfacheren Zugang und Programmierung sowie viel mehr implementierte Bildverarbeitungsfunktionen als früher. Die LightBridge-Produktserie – ein externer Framegrabber für den factory floor – orientiert sich z.B. stark an Produktionsumgebungen mit ihren Anforderungen.

Die Zeit der Framegrabber ist schon oft für beendet erklärt worden. Wo sehen Sie zukünftige Einsatzgebiete von Framegrabbern?

KHN: Der Einsatzbereich für dedizierte Framegrabber und Kameras liegt im Bereich der Machine-Vision-Schnittstellen und der hohen Bandbreiten. Die Bildverarbeitung wird immer Anforderungen an die Unterstützung von Image-Sensoren, Ansteuerungsmöglichkeiten, Latenzwerte und Bildübertragungsraten haben, die für den Konsumermarkt uninteressant sind. Hierfür benötigen wir eigene Standards. Diese orientierten sich an hohen Leistungswerten und damit auch an leistungsfähigen Einzelkomponenten. Der Framegrabber ist hier ein fester Teil des Bildverarbeitungssystems. Wir sehen aber auch anhand der Anfragen, dass die Bildverarbeitungs- und Datensteuerungskompetenz eines Framegrabbers immer stärker benötigt wird. Aber auch in Bereichen, die für den Framegrabber als abgeschrieben gelten, z.B. GigE Vision, sind wir mit unseren Produkten erfolgreich vertreten. Generell können Framegrabber neben der eigentlichen Bildaufnahme noch weitere Aufgaben übernehmen, wie die Vorverarbeitung (Bildaufbereitung/-verbesserung) und Nachbearbeitung (Bildauswertung) bis hin zur Verarbeitung von Signaldaten. Im Industrie-4.0-Umfeld spielen sie die Rolle von sich selbst steuernden Komponenten mit dezentraler Intelligenz, welche die Peripherie steuern und Einzelproduktionen ermöglichen. Da stößt ein reines Kamera- oder Embedded- System an seine Grenzen.

Welche HighEnd-Schnittstellen spielen dabei eine Rolle?

KHN: Die aktuellen HighEnd-Schnittstellen sind CoaXPress (CXP) und Camera Link HS (CLHS). Für CXP wurde bereits eine höhere Übertragungsgeschwindigkeit spezifiziert. CLHS besitzt eine elektrische und optische Übertragungsvariante, durch die die beiden Standards auch Alleinstellungen besitzen. Inzwischen wird an einem gemeinsamen Standardisierungsansatz gearbeitet. Für diese Standards sind wir als Framegrabber-Hersteller gefordert, neue Produkte auf den Markt zu bringen. 10GigE ist technologisch stark mit der optischen CHLS-Lösung verwandt. Der Markt ist aber mit seinen Kameralösungen noch überschaubar. Interessanter wird es mit NBase-T. Hier glauben wir, dass höhere Anforderungen aus dem GigE-Vision-Umfeld zu einem Anstieg dieser Technologielösung führen werden. Gerade bei Multikameralösungen oder hochpräziser Triggerung werden Framegrabber stark angefragt. Die Entwicklung von USB3.1 ist auch interessant, insbesondere aus Konsumentensicht, da immer mehr Funktionen in die Schnittstellentechnologie implementiert werden.

Sie haben VisualApplets 2006 veröffentlicht. Waren Sie der Bildverarbeitung damit zu weit voraus?

„Wir sehen die Entwicklungsgeschichte für
Framegrabber und Bildverarbeitung eher am
Anfang, als am Ende.“
Ralf Lay, Silicon Software (Bild: Silicon Software GmbH)

RL: Mit unserer Vision, FPGA-Technologie für Jedermann programmierbar zu machen, waren wir sehr früh auf dem Markt. Für unsere Mission, unseren Kunden ein Werkzeug in die Hand zu geben, um Framegrabber auch selbst zu programmieren, kamen wir rechtzeitig. Die Anfragen nach Programmierungen auf den Framegrabbern kamen mit der microEnable III ab 2001 immer häufiger. Uns selbst gab VisualApplets die Möglichkeit, unsere eigenen Entwicklungsdienstleistungen auszubauen, schneller und effizienter zu programmieren, aber auch neue, für die Hardwareprogrammierung unerfahrene Kollegen schneller einzuarbeiten und in die Anwendungsprogrammierung zu integrieren.

Wo kommt VisualApplets zum Einsatz?

KHN: Eine große Einschränkung war lange, dass VisualApplets ausschließlich auf Silicon-Software-Produkten eingesetzt werden konnte. Da die Software bereits hardwareunabhängig konzipiert wurde, haben wir 2016 mit VisualApplets Embedder eine Erweiterung veröffentlicht, die es auch Drittfirmen ermöglicht, ihre Produkte VisualApplets-kompatibel zu machen. Mit Baumer für die LX VisualApplets-Kameraserie und Sick für die interne Programmierung der AppSpace- Produkte konnten wir bereits zwei bedeutende Kunden gewinnen. Wir sehen im Moment eine große Nachfrage bei Kameraherstellen, die den Sprung zur Smart Camera vollziehen wollen, aber auch bei Herstellern von speziellen Bildverarbeitungsplatinen, die als Systembeschleunigung eingesetzt werden.

Wie wird allgemein die Bildverarbeitung der Zukunft aussehen?

„Industrie 4.0 wird intelligente
Komponenten erfordern, die in
Echtzeit anspruchsvolle
Bildverarbeitung durchführen.“
Klaus-Henning Noffz, Silicon Software (Bild: Silicon Software GmbH)

KHN: Machine Vision wird in der Industrieautomation eine große Rolle spielen. Dort hat sie sich heute zwar etabliert, bildet aber noch eine überschaubare Nische. In der Zukunft wird die Bildverarbeitung durch die Vernetzung der Produktion im Rahmen von Industrie 4.0 eine entscheidende Bedeutung erlangen. Wenn Roboter mit Menschen eng zusammenarbeiten oder die Produktion personalisierte Varianten herstellt, werden wir Machine Vision überall als dominierendes Thema finden. Aus unserer Sicht sind wir für dieses Wachstum perfekt positioniert: Es wird intelligente Komponenten erfordern, die in Echtzeit anspruchsvolle Bildverarbeitung durchführen. Wichtig werden auch neue Anwendungsbereiche und Algorithmen-Entwicklungen unter VisualApplets. Hier ist das Thema Deep Learning mit Convolutional Neural Networks (CNN) ein Hauptthema, das Analysen insbesondere bei der Oberflächeninspektion mit genaueren Ergebnissen unter erschwerten Randbedingungen ermöglicht.

Welche Rolle spielt dabei Asien?

RL: In Asien und insbesondere in China wird der Großteil der weltweiten Elektronik-, Halbleiter-, Solar- und TFT-Produktion umgesetzt. Diese Unternehmen haben sehr hohe Inspektionsanforderungen. Für die Elektronikfertigung werden z.B. High-Speed-Anwendungen mit hohen Bandbreiten und Kameras mit hoher Auflösung benötigt, wobei unsere Technologie eine wichtige Rolle spielt.

Was war für Sie das persönliche Highlight der bisherigen Firmengeschichte?

KHN: In den vergangenen 20 Jahren gab es viele Highlights, aber auch immer wieder Einschnitte, die die Unternehmensentwicklung nachhaltig beeinflusst haben. 2001 setzten wir mit der Entwicklung der microEnable III auf den Bildverarbeitungsstandard Camera Link. Er ermöglichte es uns erstmals wirklich standardisierte und international kompatible Lösungen anzubieten und war ein Baustein unseres Wachstums. 2006 gewannen wir mit VisualApplets den internationalen Vision Award und erweiterten zugleich unser Produktspektrum in Richtung Bildverarbeitungssoftware. 2016 veröffentlichten wir VisualApplets 3.0 mit seinen Erweiterungen. Nun sprechen wir neben FPGA-Einsteigern, über die Embedder-Erweiterung, auch direkt Hersteller von FPGA-basierten Bildverarbeitungsgeräten an sowie über die Expert Version auch VHDL-Programmierer. Dieser Schritt erweiterte nochmals unseren Geschäftsbereich. Wir sehen die Entwicklungsgeschichte für Framegrabber und Bildverarbeitung eher am Anfang, als am Ende. Daher werden wir unsere Vision von einem modernen Framegrabber auch zukünftig weiterentwickeln.

Themen:

| Fachartikel

Ausgabe:

inVISION 4 2017
Silicon Software GmbH

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