Individuelle Freiheiten

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Applikationsspezifische Visionlösungen selbst entwickeln

Die offene Entwicklungsumgebung Sick-Appspace ermöglicht es OEMs und Integratoren die programmierbaren Sensoren von Sick applikationsspezifisch auf die jeweilige Anwendungen anzupassen, angefangen beim Design der Bedienoberfläche, bis hin zur Verteilung der Apps auf verschiedene Sick-Sensoren. Wie das funktionieren soll, erklärt Dipl.-Ing (FH) Detlef Deuil, Leiter Produktmanagement Vertical Integration Products bei der Sick AG.

Sick-Appstudio bietet neben individuellen Programmierm?glichkeiten und Dienstprogrammen auch Zugang zur Sick-Software-Toolbox und verarbeitungsbibliotheken wie z.B. Halcon. Applikationsspezifische Apps k?nnen anschlie?end auf unterschiedlichen programmierbaren Sensoren von Sick installiert werden. (Bild: Sick AG)

Sick-Appstudio bietet neben individuellen Programmiermöglichkeiten und Dienstprogrammen auch Zugang zur Sick-Software-Toolbox und verarbeitungsbibliotheken wie z.B. Halcon. Applikationsspezifische Apps können anschließend auf unterschiedlichen programmierbaren Sensoren von Sick installiert werden. (Bild: Sick AG)

Wie funktioniert das?

Detlef Deuil: Wir liefern dazu die Applikationsentwicklungsumgebung Appstudio. Mit dieser Umgebung kann der App-Entwickler sich überlegen, welche Funktionalitäten er für seine Anlage benötigt, um z.B. eine Track&Trace-Lösung oder eine Quality Inspection zu erfüllen. In unseren programmierbaren Sensoren sind bereits viele hundert Algorithmen hinterlegt und der App-Entwickler kann entscheiden, welche Funktion er benötigt, um seine Applikation zielgenau zu lösen. Passend dazu definiert er auch, welche Bedienoberfläche der Maschinenbediener braucht, um die Maschine später entsprechend einrichten zu können bzw. einen Batch-Übergang zu realisieren. Ziel sind maßgeschneiderte Lösungen für die Endkunden in der Fabrikautomation.

Was genau ist eine App?

Deuil: Innerhalb einer App befinden sich im Wesentlichen zwei bis drei Elemente. Das Hauptelement ist die Aufgabe, die der Sensor lösen soll, das zweite das Interfacing, also wie kommuniziere ich mit der Maschine. Das dritte Element ist ein webbasiertes Graphic User Interface (GUI), das auf einem Panel zur Maschinensteuerung angezeigt wird.

 (Bild: Sick AG)

„Indem wir unsere Geräte öffnen und unsere Sensoren programmierbar machen, geben wir den Integratoren den Freiraum, selbst Applikationen auf unseren Sensoren zu entwickeln.“ -Detlef Deuil (Bild: Sick AG)

Für welche Sick-Produkte ist Appspace anwendbar?

Deuil: Wir haben mit RFID-Sensoren und der Sensor Integration Machine (SIM) gestartet, zur Vision-Messe werden wir mit den 2D-Vision-Sensoren anfangen und im Laufe des nächsten Jahres mit den Bereichen 3D-Vision sowie ToF-Laser-Scanner beginnen.

Welche Anwendervorteile ergeben sich?

Deuil: Der Vorteil für OEMs und Integratoren ist, dass sie alle Funktionalitäten so abbilden können, wie sich das die Endkunden wünschen. Alle Anwender rufen nach Individualisierung, weil die Anzahl der Anforderungen extrem hoch ist. Das fängt z.B. damit an, dass die Maschinenbediener einfache Bedienoberflächen bei den Sensoren haben wollen, die wirklich nur auf die fünf Parameter zugeschnitten sind, die in der Anlage gebraucht werden, und auf denen auch noch das passende Logo des Endkunden zu sehen ist. Wenn Sie sich vorstellen, wie viele tausend Maschinen heute jedes Jahr für die unterschiedlichsten Kunden aufgestellt werden, möchten wir als Sensorhersteller mithilfe der Integratoren diesen Individualisierungswünschen Rechnung tragen und diese Individualisierungen verfügbar machen.

Ich kann also individuelle Lösung selbst erstellen, und bin nicht mehr darauf angewiesen, dass Sie mir helfen?

Deuil: Richtig. Ein Kunde, der die entsprechende Kompetenz hat, kann mit dem Freiraum auf dem Sick-Sensor neue Applikationen erfüllen. Zusätzlich werden wir auch ein entsprechendes Netzwerk aufbauen, damit die Integratoren bekannt sind, die unsere Kunden unterstützen können. Wir werden aber auch selber eigene Services anbieten, um in ausgewählten Projekten unsere Kunden noch individueller unterstützen zu können.

Wie kann ich Appspace nutzen?

Deuil: Programmierbare Sensoren bedeuten, dass ich eine gewisse Programmierkompetenz brauche, aber auch über Integrationskompetenzen verfügen muss, was mechanische und elektrische Integration in Anlagen betrifft. Zudem benötige ich auch Wissen über Datenintegration in die Steuerungs-, ERP- und MES-Welten. Wenn diese Kompetenzen vorhanden sind, können sich Interessierte im Appspace Developers Club für eine jährliche, kostenpflichtige Mitgliedschaft anmelden. Als Gegenleistung bekommen sie den entsprechenden Lizenzschlüssel für das Appstudio zur Verfügung gestellt. Zudem erhalten die Appspace-Entwickler bei Bedarf Zugang zum Third Level Support, also vom Entwickler zum Entwickler, bei dem z.B. auch Debugging an der Software über eine Telefonhotline unterstätzt wird. Wir bauen zudem ein onlinebasiertes Supportportal auf, sodass – egal wo der Appspace-Entwickler sitzt – er schnell Kontakt zum richtigen Experten bei uns bekommt, um den entsprechenden Support zu erhalten. Ein weiteres Element ist, dass wir den Mitgliedern günstige Pakete von Demogeräten anbieten, sodass sie sofort mit einer Laborausstattung starten können, um Entwicklungen zu aktivieren. Wir stellen uns eine Community vor, in der gemeinsam genetzwerkt wird und z.B. in einer jährlichen Developers Konferenz über mögliche Weiterentwicklungen des Appspace-Ecosystems diskutiert wird.

Besteht die Möglichkeit, dass Apps auch der Community bzw. Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt werden?

 (Bild: Sick AG)

„Wir stellen uns eine Community vor, in der gemeinsam genetzwerkt wird und z.B. in einer jährlichen Developers Konferenz über mögliche Weiterentwicklungen des Appspace-Ecosystems diskutiert wird.“ – Detlef Deuil (Bild: Sick AG)

Deuil: Grundsätzlich ist das vorstellbar. Wir sind aber heute noch nicht so weit. Speziell in Europa sehen wir große Vorbehalte, was IP-Rechte und Datensicherheit bzw. -tausch angeht. Deswegen pflegen wir auch Aktivitäten im Bereich ‚Industrial Dataspace‘ (www.industrialdataspace.org), wo wir genau über diese Konzepte reden. Ziel ist es, dass in Zukunft nach europäischen Standards Apps in der Industrie ausgetauscht werden können. Grundsätzlich sind diese Mechanismen aber bereits vorhanden, dass ein AppSpace-Entwickler selbst entscheiden kann, ob seine App öffentlich oder privat geschätzt ist, bzw. ob sie einen Schreib- oder Kopierschutz hat.

Inwieweit kann man innerhalb einer App selbst bestimmen, was der Endanwender eingeben kann? Gibt es z.B. die Möglichkeit, dass ich eine Anfänger-GUI habe, bei der ungeschulte Anwender Systeme nutzen können bzw. eine Experten-GUI, bei der Anwender deutlich mehr machen können?

Deuil: Das ist genau die Skalierbarkeit, die wir bei Appspace sehen. Sie können innerhalb eines Gerätes mehrere Apps haben, die unterschiedlich aktiviert werden. Der App-Entwickler entscheidet, welche Erfahrungen beim Enduser vorhanden sind und richtet darauf die Maschinenbedienung aus. Er kann gemeinsam mit seinem Endkunden abstimmen, wie der Sensor sich an der Maschine verhalten, und wie er bedient werden soll.

Ist das App-Konzept auch auf andere Sick-Produkte übertragbar?

Deuil: Grundsätzlich sind die Apps so gestaltet, dass sie hardwarenunabhängig generiert werden. Ein App-Entwickler kann bereits ohne Hardware die Entwicklung starten, und migriert die App erst später auf den Zielsensor. Beispielsweise hat er in seinem Labor einen InspectorP650, also einen großen 4Mpx-Vision-Sensor, und nutzt diesen zur ersten Integration. Später kann er dann mit seiner App aber auch ein InspectorP630 mit einer 1MP-Kamera nutzen. Wir haben geregelt, dass die App an die Hardware meldet, was für Funktionalitäten sie benötigt und die Hardware zurückmeldet, ob die Funktionalitäten vorhanden sind. Falls nicht, gibt es eine entsprechende Warnung für den Appspace-Entwickler, ob die App wirklich 1:1 integrierbar ist. Sie können auf einer 2D-Hardware anfangen zu entwickeln und dann – falls sich die Anforderungen beim Kunden ändern – auf 3D weitermachen und das entsprechend adaptieren. Außerdem gibt es im Appstudio eine Emulator-Funktionalität, die dem App-Entwickler erlaubt, die Entwicklung ohne Hardware starten zu können. Das ist für uns ein entscheidendes Element. Gerade mit der Sensor Integration Machine schieben wir das 3D-Thema in den Vordergrund. Vor dem Hintergrund Industrie 4.0 sehen wir, dass Daten und Objekte ganzheitlich erfasst werden, also digitalisiert werden müssen. Die Objekte werden also optisch erfasst und der Anwender muss sie in Pixeldaten und Bildern sehen und in Volumendaten umsetzen. Dort wird uns Halcon helfen, um aus dem Stand dem Markt eine breite Funktionalität anzubieten. Wir verstehen Appspace als Ecosystem und sind auch offen für andere Anbieter.

Wie findet das Programmieren statt?

Deuil: Sie haben innerhalb des Sensors einen Freiraum (Space), in dem Sie Ihre individuelle Applikationssoftware (App) unter Ausnutzung integrierter Bibliotheken, z.B. Halcon, ablegen können. Im Gegensatz zu einem Smartphone haben wir bereits sehr viel Intelligenz direkt in den Geräten verfügbar gemacht. Innerhalb des Space muss sich der App-Entwickler entscheiden, welche Funktionalität er benötigt, um seine Applikation zu lösen. Diese Funktionalitäten ruft er über Lua auf, eine Scriptsprache, die für die heutigen Programmierer leicht erlernbar ist, oder typischerweise bereits an der Uni über Python gelernt haben. Lua ist eine Python-Version speziell für Embedded Systems und innerhalb kurzer Zeit erlernbar.

Glauben Sie, dass durch Programme wie Appspace das Thema Bildverarbeitung für klassische Automatisierungsanwender handhabbarer wird?

Deuil: Ich glaube es ist ein Schritt in die richtige Richtung. Der Entwickler muss sich stärker mit dem Endkunden auseinandersetzen, was dieser wirklich an der Maschine benötigt, d.h. für den Maschinenbediener wird es deutlich einfacher. Für den Schritt vorher – also von der App-Entwicklung hin zu der einfachen Web-GUI an der Maschine – gibt es noch Wege, die wir – und auch andere Anbieter – noch gehen müssen, um die Welt zu vereinfachen. Aber am Ende des Tages geht es um eine neue Art der Darstellung von Bedienoberflächen. Letztendlich ist es wie bei den Smartphones: wenn die Apps erst einmal da sind und funktionieren, nutzen die Anwender sie auch.

Themen:

| Fachartikel

Ausgabe:

inVISION 5 2016
Sick AG

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