Deep Learning bei Vogeltracking-Systemen für Windkraftanlagen

Kommt ein Vogel geflogen

Deep Learning bei Vogeltracking-Systemen für Windkraftanlagen

Der Bürgerwindpark Hohenlohe und Phil-Vision entwickeln ein auf KI basierendes Visionsystem, um große Greifvögel zu erkennen und notfalls Windräder zu verlangsamen, wenn ein Vogel eine entsprechende Distanz unterschreitet.

Bild 1 | Verfolgung der Flugbahn eines detektierten Vogels, um bei ­Unterschreitung einer gewissen Distanz die Windräder zu verlangsamen. (Bild: Phil-Vision GmbH)

Bild 1 | Verfolgung der Flugbahn eines detektierten Vogels, um bei ­Unterschreitung einer gewissen Distanz die Windräder zu verlangsamen. (Bild: Phil-Vision GmbH)

Für den Bau und den Betrieb von Windkraftanlagen haben sich die Artenschutzauflagen in den vergangenen Jahren enorm erhöht. So müssen Windräder, in deren Umgebung sich in einem bestimmten Radius landwirtschaftliche Flächen befinden, z.B. für einige Tage abgeschaltet werden, sobald dort Äcker gepflügt werden. Zu diesen Zeiten besteht für geschützte Vogelarten erhöhte Gefahr, da diese sich vermehrt auf bzw. über den Feldern aufhalten. Es werden sogar bereits gebaute Anlagen abgeschaltet, wenn ein geschützter Vogel sich in der Nähe einer solchen einnistet. Eine Möglichkeit, diesem Problem zu begegnen, besteht darin, die Windräder zu verlangsamen, sobald sich gefährdete Vögel in deren Nähe aufhalten. Um die langen Abschaltzeiten – in denen oft nicht einmal Tiere in Gefahr sind – zu vermeiden, entwickelt der Bürgerwindpark Hohenlohe mit phil-vision ein Visionsystem, basierend auf künstlicher Intelligenz, um große Greifvögel zu erkennen, zu lokalisieren und deren Flugbahn zu verfolgen. Auf diese Weise soll es möglich sein, das nahestehende Windrad gezielt nur dann verlangsamen zu müssen, wenn ein Vogel eine entsprechende Distanz unterschreitet. Da an jedem Standort eines Windrads unterschiedliche Gegebenheiten in der Fauna vorliegen, ist es jedoch nötig, individuelle Schutzkonzepte zu erstellen. Daher werden derzeit mit einem ersten Überwachungssystem die spezifischen Anforderungen erarbeitet, um das Zielsystem für jede Anlage passend auszugestalten.

Tracking mit Deep Learning

Zur Aufnahme der Bilder überwachen mehrere am Windrad in wetterfesten Schutzgehäusen befestigte Farbkameras (6 oder 20MP) den kompletten Luftraum um das Windrad. Um die gesamten 360° zu erfassen, werden spezielle Weitwinkelobjektive eingesetzt, mit denen der Überblick über solch breite Bildfelder möglich ist. Die für das Deep Learning benötigte Menge an Bilddaten wurde für die Entwicklungsphase anschließend auf einem Entwicklungsrechner verarbeitet. Die Erstellung der eigentlichen Bildverarbeitung stützt sich auf neuronale Netze, mithilfe derer die Erkennung der Vögel antrainiert wurde. Deep Learning erlaubte somit ein intelligentes System zu kreieren, das automatisiert die betreffenden Tiere vor unterschiedlichsten Hintergründen und unter variablen Bedingungen detektiert und von ähnlichen Objekten (z.B. Flugzeuge oder Fliegen) unterscheidet. Einmal gefunden, werden die Flugbahnen der Vögel vom Programm solange nachverfolgt, bis sie nicht mehr erkennbar sind und damit für den Betrieb des Windrads keine potentielle Gefahr darstellen.

Bild 2 | Die Kamera in einem wetterfesten Gehäuse, installiert am Mast des Windrads. (Bild: Phil-Vision GmbH)

Bild 2 | Die Kamera in einem wetterfesten Gehäuse, installiert am Mast des Windrads. (Bild: Phil-Vision GmbH)

Kommt ein Vogel der Anlage zu nahe, wird dieser zunächst als bewegtes Objekt identifiziert und optional auf die Überwachung mit einer 20MP-Kamera umgeschaltet. So wird ermittelt, ob es sich um einen Vogel handelt und anschließend, ob das Tier einer ‚windkraftempfindlichen‘ Gattung angehört. Vorrangiges Ziel ist es, u.a. möglichst wenige Fehlauslösungen zu erhalten. So konnten im Laufe der Zeit Fliegen, kleinere Vögel und Ähnliches immer besser ausgeklammert werden. Durch die Trainingsphase ließ sich die Unterscheidung großer Greifvögel von kleinen Vögeln und anderen Objekten robust realisieren. Handelt es sich um eine gefährdete Tierart, wird die Flugbahn des Vogels so lange verfolgt, bis dieser entweder aus dem sichtbaren Bereich wieder verschwindet oder der Anlage zu nahe kommt. Unterschreitet ein geschützter Vogel die vorgegebene Mindestdistanz zum Windrad, wird ein entsprechendes Signal an das Kontrollzentrum ausgegeben, sodass eine Verlangsamung der Anlage rechtzeitig stattfindet.

Abstandsmessung per Drohne

Eine Option für die Zukunft ist die Integration einer Entfernungsmessung. Hierfür werden je zwei Kameras im Stereo-Betrieb verwendet. Eine vorab durchgeführte Kalibration aller Kameras stellt sicher, dass Fertigungstoleranzen herausgerechnet und die ermittelte Entfernung korrekt in metrische Daten umgewandelt werden. Die Kalibration wird mithilfe einer Drohne umgesetzt, die genau festgelegte Punkte in unterschiedlichen Höhen und Distanzen ansteuert. Über einen Marker kann die Bildverarbeitung auf dem aufgenommenen Bild anschließend die Position der Drohne erkennen; zu jeder Position werden hierbei die definierten Abstände hinterlegt. Auf diese Weise wird die Pose der jeweiligen Kamera exakt ermittelt, um später präzise Daten über sich nähernde Vögel liefern zu können. Eine weitere geplante Option ist die Unterscheidung der einzelnen geschützten Vögel mittels Klassifikation. Hierfür soll ebenfalls Deep Learning eingesetzt werden. Im ersten Schritt soll ab Herbst 2019 ein fertiges System zum Monitoring von Flugbewegungen windkraftempfindlicher Vogelarten im Anlagenumfeld eingesetzt werden. In Zusammenarbeit mit Biologen werden auf Basis des jeweiligen (Flug-)Verhaltens der Vögel individuelle Schutzkonzepte ausgearbeitet, gemäß denen die Visionsysteme im Anschluss je nach spezifischen Anforderungen ausgelegt und angepasst werden. Zudem ist die Erstellung einer Datenbank geplant, in der die Werte über den Vogelflug an verschiedenen Standorten dokumentiert werden. Ein Webinterface soll die Möglichkeit bieten, die aufbereiteten Daten spezifisch für den jeweiligen Windpark oder das einzelne Windrad abzufragen und darzustellen.

Themen:

| Fachartikel

Ausgabe:

inVISION 3 2019
phil-vision GmbH

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