Leistungsfähigkeiten analysieren

Leistungsfähigkeiten analysieren

Projektierungshilfe dank VDI/VDE/VDMA Richtlinie 2632

In der Praxis kommt es bei der Beschaffung und dem Betrieb klassifizierender Inspektionssysteme häufig zu Missverständnissen und Differenzen zwischen Systemhersteller und Anwender. Die VDI-Richtlinie 2632 kann hier helfen, sowohl bei der Projektierung, als auch bei der Evaluierung des Prüfprozesses. Richtig angewendet, bietet sie eine Grundlage für Optimierungen.

 Schematischer Ablauf des Pr?fprozesses (Anmerkung: zur Unterscheidung werden f?r die Qualit?tsstufen auf Ereignis-Ebene Kleinbuchstaben und auf Teile-Ebene Gro?buchstaben verwendet) (Bild: MSTVision GmbH)

Bild 1 | Schematischer Ablauf des Prüfprozesses (Anmerkung: zur Unterscheidung werden für die Qualitätsstufen auf Ereignis-Ebene Kleinbuchstaben und auf
Teile-Ebene Großbuchstaben verwendet) (Bild: MSTVision GmbH)

Automatische Inspektionssysteme finden stetig wachsende Anwendungsfelder in der Qualitätskontrolle industrieller Produktionen. Allerdings muss die Spezifikation und Beschaffung solcher Systeme in der Praxis oft von Ingenieuren vorgenommen werden, die keine Experten für Bildverarbeitung sind. Zudem können teilweise die Rahmenbedingungen ungünstig sein, wenn Musterteile fehlen, da die entsprechende Produktion noch nicht läuft. Es gab außerdem lange Zeit keine anerkannten Standards, nach denen sich die Leistungsfähigkeit solcher Systeme beschreiben und messen lässt. Diese Gemengelage ist konfliktträchtig und führt oft spätestens bei der Inbetriebnahme zu Auseinandersetzungen. Standards und Richtlinien helfen hier. Dieser Artikel bezieht sich dabei auf klassifizierende Inspektionssysteme im Gegensatz zu rein messenden Systemen, für die es mittlerweile etablierte Standards gibt. Durch Einbeziehung der VDI/VDE/VDMA-Richtlinie 2632 können einige Hindernisse im Projektverlauf umschifft werden. Blatt 1 bietet mit Begriffsdefinitionen eine Gesprächsgrundlage zwischen Projektingenieur und Systemlieferant. Blatt 2 weist auf viele Aspekte hin, die spezifisch für Inspektionssysteme sind und sich so nicht in anderen Lastenheftvorlagen finden. Einer der wichtigsten Erfolgsfaktoren ist aber, dass dem Inspektionssystem vertraut wird, weil es nachweisbar korrekt arbeitet. Im Folgenden wird exemplarisch gezeigt, wie man diese Leistungsfähigkeit in Anlehnung an Blatt 3 der Richtlinie analysieren kann. Eine solche Analyse kann dann zur Optimierung des Prüfprozesses dienen. Als Beispiel wird die Produktion von Displaygläsern betrachtet.

 Kreuztabelle auf Ereignisebene. Die Ereignisklassen werden in Spalten und Zeilen gegen?ber gestellt. Die Zusammensetzung der Quadranten auf Ereignis-Ebene erm?glicht eine Bewertung der Quadranten auf Teile-Ebene. Im unteren bzw. im rechten Rand sind zus?tzlich die Detektions- bzw. Pseudofehlerraten (mit Konfidenzintervallen) f?r den jeweiligen Ereignistyp angegeben. (Bild: MSTVision GmbH)

Bild 2 | Kreuztabelle auf Ereignisebene. Die Ereignisklassen werden in Spalten und Zeilen gegenüber gestellt. Die Zusammensetzung der Quadranten
auf Ereignis-Ebene ermöglicht eine Bewertung der Quadranten auf Teile-Ebene. Im unteren bzw. im rechten Rand sind zusätzlich die Detektions-
bzw. Pseudofehlerraten (mit Konfidenzintervallen) für den jeweiligen Ereignistyp angegeben. (Bild: MSTVision GmbH)

Aufteilung des Prüfprozesses

Zunächst ist es hilfreich, den Prüfprozess in einzelne Schritte aufzuteilen (Bild 1). Jeder Produktionsprozess kann zu Produktfehlern (Defekte) führen, die in unterschiedlichen Häufigkeiten vorkommen (Produktionsstatistik). In diesem Beispiel sind es Blasen, Kratzer und Kantenfehler. Je nach Ausprägung, z.B. der Größe, sind Defekte tolerabel (grün) oder nicht (rot). Außerdem können andere Ereignisse, wie Wassertropfen, aufliegende Fasern oder Verschmutzungen auftreten. Im ersten Schritt, der Detektion, stellt ein Inspektionssystem fest, wo potentielle Defekte (Ereignisse) vorliegen. Im zweiten Schritt, der Klassifikation, wird jedes Ereignis einem Defekttyp zugeordnet. Daraus wird anschließend für jedes Ereignis eine Qualitätszuordnung (IO/NIO) abgeleitet. Zuletzt erfolgt, basierend auf allen Ereignissen, eine Qualitätsentscheidung für das gesamte Teil, hier der Displayscheibe. Es ist wichtig zu verstehen, dass eine IO/NIO Entscheidung auf Teile-Ebene nicht nur von der Zuverlässigkeit der beiden Inspektionsschritte abhängt: Je mehr Defekte auf einem Teil vorliegen, desto wahrscheinlicher ist eine fehlerhafte Qualitätsentscheidung für das ganze Teil aufgrund einer falschen Qualitätszuordnung eines einzelnen Ereignisses. Auch hängt die Auswirkung von Fehldetektionen und Fehlklassifikationen davon ab, ob die jeweiligen Ereignisse qualitätsrelevant sind oder nicht. In der Richtlinie 2632 werden daher die Produktionsstatistik, die Leistungsfähigkeit der Inspektionsanlage und die Regeln der Qualitätszuordnung zusammen als Elemente des Prüfprozesses betrachtet.

 Potentieller zeitlicher Verlauf der Kreuztabellen (Bild: MSTVision GmbH)

Bild 3 | Potentieller zeitlicher Verlauf der Kreuztabellen (Bild: MSTVision GmbH)

Analyse des Prüfprozesses

Ein Mittel zur Analyse des Prüfprozesses sind Kreuztabellen. Dazu wird für eine Stichprobe zu prüfender Teile die Referenzaussage (Spalten) mit dem Prüfergebnis des Systems (Zeilen) verglichen. Referenzaussagen können beispielsweise von Sichtprüfern stammen. Im Idealfall stimmen beide überein, dann sind nur die Diagonalelemente ungleich Null. Das Produktionsmanagement interessiert sich vor allem für die Kreuztabelle auf Teile-Ebene (Bild 3). In ihr ist leicht zu erkennen, wie viele IO-Teile fälschlicherweise als NIO (Fehlausschuss) und wie viele NIO-Teile fälschlich als IO bewertet wurden und zum Kunden gehen (Durchschlupf). In diese Darstellung gehen aber auch die Eigenschaften des Produktionsprozesses ein, sie eignet sich nicht zur Analyse des Prüfprozesses. Detailliertere Aussagen lassen sich aus der Kreuztabelle auf der Ereignis-Ebene ablesen (Bild 2). So ist zu sehen, dass die Detektionsrate für Blasen und Kratzer relativ hoch ist. Allerdings werden relativ viele NIO-Kratzer als IO eingestuft, die Klassifikation zwischen beiden Kratzertypen ist also unzuverlässig. Ferner ist die Detektionsrate für Kantenfehler nicht akzeptabel. Hier muss überprüft werden, ob z.B. eine Kamera ein Problem hat, oder ob die Detektionsschwellen anzupassen sind. Eine weitere Auffälligkeit ist die hohe Anzahl an Wassertropfen und Schmutz, die zu viele Fehlklassifikationen nach sich zieht. Hier wird die vorausgesetzte Sauberkeit nicht erfüllt und es muss in den Reinigungsprozess eingegriffen werden. Die Ereignisklassen Wassertropfen, Schmutz und Fasern sind in dieser Version des Klassifikators noch gar nicht vorgesehen, sodass es zwingend zu Fehlklassifikationen in die Klassen Kantenfehler und Kratzer kommen muss. Die Pseudofehlerrate zeigt, dass einige vom System gemeldete Ereignisse von der Referenz nicht gefunden wurden. Da diese Ereignisse immer der Klasse Kratzer zugewiesen wurden, ist es möglich, dass während der Prüfung zuerst lose Fasern auflagen, die danach jedoch ihre Position verändert haben. Basierend auf dieser Analyse kann der Prüfprozess optimiert werden. In unserem Beispiel müsste der Betreiber den Reinigungsprozess verbessern, der Systemhersteller die Detektionsempfindlichkeit für Kantenfehler erhöhen und den Klassifikator um die Ereignistypen Fasern und Wassertropfen erweitern. Die Gründe für die schlechte Übereinstimmung zwischen NIO- und IO-Kratzern müsste anhand von Musterteilen und den zugehörigen Fehlerbildern untersucht werden.

Fazit

Die Leistungsfähigkeit eines Inspektionssystems muss bei der Inbetriebnahme validiert und immer wieder neu überprüft werden. Die entsprechende Analyse wird durch die vorgestellten Kreuztabellen unterstützt, die zudem noch bei der Optimierung des Prüfprozesses helfen. Ein zuverlässiges Inspektionssystem liefert darüber hinaus wertvolles Prozessfeedback. Dieses kann dann für eine Optimierung des eigentlichen Produktionsprozesses verwendet werden, so dass der Anteil der NIO-Teile kontinuierlich abnimmt.

Themen:

| Fachartikel

Ausgabe:

inVISION 4 2017
MSTVision GmbH

Das könnte Sie auch Interessieren