Veränderungen bei MVTec und neues Deep Learning Tool

Neue Wege

Veränderungen bei MVTec und neues Deep Learning Tool

Dr. Wolfgang Eckstein, Geschäftsführer der MVTec Software GmbH, wird sich im Laufe dieses Jahres aus seiner Funktion als Geschäftsführer zurückziehen. inVISION sprach mit ihm und Dr. Olaf Munkelt, ebenso Geschäftsführer des Unternehmens, über die kommenden Veränderungen bei MVTec und neue Deep-Learning-Produkte der Firma.

Die beiden MVTec Firmengründer und Geschäftsführer Dr. Wolfgang Eckstein (l.) und Dr. Olaf Munkelt (r.) im Gespräch mit inVISION. (Bild: MVTec Software GmbH)

Die beiden MVTec Firmengründer und Geschäftsführer Dr. Wolfgang Eckstein (l.) und Dr. Olaf Munkelt (r.) im Gespräch mit inVISION. (Bild: MVTec Software GmbH)

inVISION: Herr Eckstein, Sie ziehen sich als Geschäftsführer der MVTec zurück. Werden Sie die Firma ganz verlassen oder sich auf eine neue Rolle innerhalb von MVTec konzentrieren?

Dr. Wolfgang Eckstein: Wir haben bereits vor fünf Jahren damit begonnen, diesen Schritt vorzubereiten, das heißt meine Aufgaben an Kollegen zu übertragen. Dieser Prozess ist jetzt abgeschlossen und so kann ich mich nun auf meine Inhaberrolle konzentrieren. Diese Rolle betrifft vor allem strategische Fragen des Unternehmens. Diese haben weniger mit dem Alltagsgeschäft, sondern sehr viel mit Erfahrung zu tun.

inVISION: Herr Dr. Munkelt, wie wird sich Ihre Position in der Firma ändern?

Dr. Olaf Munkelt: Bisher haben wir beide nach außen gewirkt und viele Verpflichtungen wahrgenommen. Das wird sich ändern, wenn Wolfgang nicht mehr in diesem Maß verfügbar ist. Auf der anderen Seite haben wir in dem Transformationsprozess der letzten fünf Jahre die Aufgaben ein Stück weit neu verteilt. Früher war ich viel im Vertrieb tätig, was ich komplett abgegeben habe. Ich konzentriere mich zukünftig stärker auf die Unternehmensentwicklung und -strategie sowie die Arbeiten, die sich rundherum gruppieren. Wir haben mittlerweile ein Managementteam, das sehr stark nach innen wirkt, einige Kollegen davon auch nach außen. Zunächst bleibt es aber so, dass ich alleiniger Geschäftsführer des Unternehmens bin.

inVISION: Wo sehen Sie die zukünftigen Schwerpunkte der Firmenentwicklung?

Eckstein: Deep Learning ist ein spannendes Thema. Wir sehen zahlreiche Anwendungen bei den Kunden und werden entsprechend intensiv daran weiterarbeiten. Ein anderes wichtiges Thema ist der Einfluss der Hardware. Embedded Vision ist hier ganz wichtig, da sie für den Kunden auf unterschiedlichsten Ebenen einen Nutzen darstellt. Das kann in den geringen Kosten, wie auch in der hohen Robustheit begründet sein, sowie in völlig neuen Märkten, die auch außerhalb des Bereichs Machine Vision liegen können.

Munkelt: Wir haben den Anspruch, dass wir Technologieführer sind und es auch weiterhin bleiben wollen. Themen wie Deep Learning haben wir in anderer Rolle schon vor 30 Jahren bespielt. Ich denke, dass es immer wieder Technologien gibt, die aus der Versenkung geholt werden und dann erneut für Anwendungen von heute durchdekliniert werden müssen. Die Hardwareunabhängigkeit unserer Softwareprodukte war uns schon früh sehr wichtig: Wir haben gesehen, dass es mehrere Prozessorsysteme gab, die wir nach wie vor unterstützen wollen. Das waren Investitionen, die sich erst Jahre später ausgezahlt haben. Mit Deep Learning ist das ähnlich. Wir sind dies schon sehr früh angegangen, immer vor dem Hintergrund, dass wir einen konkreten Mehrwert erzeugen wollten. Deswegen haben wir uns schon vor sechs Jahren damit beschäftigt, OCR mit Deep Learning zu optimieren. Für uns ist es wichtig, dort Präsenz zu zeigen, wo eine große Kundenbasis existiert und das Ohr nahe am Kunden zu haben. Zudem haben wir ein starkes Integratoren-Netzwerk, welches wir weiter ausbauen möchten. Allerdings verändert sich derzeit die Marktlandschaft, und darauf müssen wir reagieren.

inVISION: Wenn Sie sagen, die Vision-Landschaft verändert sich, ist das ein weltweites oder ein europäisches Problem?

Munkelt: Es ist so eine Mischung aus allem. Als wir angefangen haben, hatten wir eine klar definierte Wertschöpfungskette, das heißt es gab Beleuchtung, Objektive, analoge/ digitale Kameras, Framegrabber, Interfaces und einen PC als Verarbeitungseinheit. Hier verschwimmen die Grenzen immer mehr. Jede einzelne Komponente ist mittlerweile viel besser verstanden in ihrer Funktion und Wirkungsweise sowie in ihrem Beitrag für eine Anwendung. Die Standardisierung hat das ihre dazu getan. Heute arbeiten wir auch mit ganz anderen Kostenstrukturen als noch vor zehn oder 20 Jahren. Das führt dazu, dass auch die Wege, wie diese Komponenten an den Kunden kommen, sich verändert haben. Das Distributionsgeschäft, wie wir es noch vor zehn Jahren kannten, wird zunehmend zum Auslaufmodell werden. Auf der anderen Seite sehen wir (Embedded-)Architekturen, die alle diese Komponenten spielend leicht vereinigen. Daher stellt sich die Frage des Mehrwerts nochmal neu und dort müssen wir ran.

inVISION: Sie haben die Version 0.1 eines neuen Deep Learning Tools vorgestellt. Was verbirgt sich dahinter und wie fügt sich das Tool in Ihre bestehende Produktlandschaft ein?

Eckstein: Der Begriff 0.1 ist bewusst gewählt, weil wir einen hohen Anspruch haben, was ein Produkt letztlich können soll. Gleichzeitig sehen wir aber, dass das Tool bereits jetzt einen Mehrwert für den Kunden bietet. Wer Deep Learning verwenden möchte, muss verstehen mit Daten umzugehen. Das ist ein ganz neues Know-how, was derzeit entsteht. Gleichzeitig muss der Kunde aber die passenden Werkzeuge dafür haben. Genau diese Lücke füllt unser Deep Learning Tool. Es ermöglicht es, in einfacher Weise Daten zu erfassen, zu verwalten, zu bearbeiten und dann auch zu trainieren, um zu sehen, wie so das Netzwerk weiter optimiert und dessen Erkennungsleistung erhöht werden kann. Demnächst wird ein Kunde zwanzig oder fünfzig Anwendungen haben, und somit stellt sich die Frage, ob er seine Deep-Learning-Daten für all diese Anwendungen verwenden kann. In Zukunft wird diese Art von Datenverwaltung eine ganz zentrale Aufgabe sein. Wir versuchen unsere Kunden zu begleiten, die neue Technologie erst einmal zu verstehen, um ihnen dann zu helfen, sie auch einzusetzen. Das geht bis dahin, dass wir mit dem Tool bald eine Software haben, die sowohl den Halcon- als auch den Merlic-Kunden umfassend unterstützt.

inVISION: Ist das Deep Learning Tool ein unabhängiges Produkt oder Bestandteil von Merlic oder Halcon?

Munkelt: Ich glaube, es ergänzt Merlic und Halcon im Moment eher. Es ist noch offen, ob es sich nicht auch zu einem eigenen Produkt entwickelt, denn das Programmieren von heute ist quasi das Daten organisieren von morgen. Die Wertschöpfungskette verschiebt sich vom Programmieren dahin, dass man Daten so organisiert, dass sie mit Hilfe von Deep Learning verarbeitet werden können. Wir spiegeln das an dem Mehrwert, den ein Tool liefert: Wie lange brauche ich bzw. was für ein Know-how benötige ich, um das durchführen zu können? Die Frage ist, ob unsere Kunden in Zukunft verstärkt Mitarbeiter haben, die sich mit Deep-Learning-Anwendungen aus Sicht eines grafischen Tools beschäftigen, also quasi als ‚Photoshop für die Bildverarbeitung‘.

Eckstein: Wir sehen die Kombination aus der klassischen Algorithmik und Deep Learning. Von daher wäre unsere These, dass Unternehmen, die ausschließlich mit Deep-Learning-Technologie in den Markt gehen, nicht sehr weit kommen werden. Sie werden einzelne Lösungen finden, aber wir sehen bei praktisch all unseren Kunden, die Deep Learning einsetzen, dass es immer eine Kombination aus beidem ist. Z.B.: Man kann mit Deep Learning zwar sehr robust die einzelnen Objekte klassifizieren, danach muss ich aber etwas mit diesen Daten machen. Bevor ich etwas lesen oder vermessen kann, muss ich es z.B. erst einmal finden. Der Mehrwert von Halcon ist es, dass man beides elegant miteinander verbinden kann. Deep Learning und Datenanalyse sind wichtig, aber nur in Kombination mit dem, was die klassische Bildverarbeitung nach wie vor bietet.

inVISION: Wann wird aus der Version 0.1 die Version 1.0?

Eckstein: Wir haben den strikten Zeitplan, dass in Schritten von wenigen Monaten ständig verbesserte Versionen auf den Markt kommen. Gegen Ende des Jahres sollte die Version 1.0 da sein.

Munkelt: Die 1.0 wird vergeben, wenn das Tool alle Deep-Learning-Technologien unterstützt, die bereits in Halcon enthalten sind.

inVISION: Beim Deep Learning spielt auch Novelty Detection eine Rolle. Sind sie bereits an diesem Thema dran?

Munkelt: Ja und wir haben intern schon tolle Resultate. Unser Anspruch ist aber, dass wir erst dann etwas auf den Markt bringen, wenn es auch eine große Anzahl von Anwendungen abdeckt. Wir sehen diese für Novelty Detection vor allem bei der Inspektion von Oberflächen, wie z.B. texturierte Oberflächen wie Holz oder Leder. Unsere Kunden sollen mit nur wenig Aufwand einen hohen Mehrwert erzielen, genauso wie uns dies bei der Klassifikation gelungen ist. Deswegen werden wir in der Entwicklung noch sechs bis zwölf Monate brauchen, bis wir diesem Anspruch auch gerecht werden.

Eckstein: Die Daten, die wir verwenden, um zu verifizieren, wie gut das System läuft, basieren auf einer sehr breiten Anwendungspalette. Ich bin von den ersten Ergebnissen unserer Forscher sehr begeistert.

inVISION: Hat die Rolle der Software in der Bildverarbeitung eher zu- oder abgenommen?

Munkelt: Die Bedeutung der Software ist gestiegen. Zwar gibt es im Sprachgebrauch eine Unwucht, denn man spricht meist von einem Kamerasystem, meint aber ein Bildverarbeitungs-Subsystem, inklusive Verarbeitung. Wenn wir zum Kunden gehen, sitzen wir häufig mit Hauptabteilungsleitern oder auch Geschäftsführern an einem Tisch, weil Software als etwas Strategisches gesehen wird. In dem Moment, wo man sich für ein Produkt oder eine Umgebung entscheidet, weiß das Management, dass dies eine Entscheidung ist, die längere Zeit eine Auswirkung auf das Unternehmen hat. Die Mitarbeiter müssen geschult werden, da sie das Produkt erst richtig kennen lernen müssen, bevor sie den Mehrwert nutzen können.

inVISION: Wie einfach kann die Bedienung von Bildverarbeitung noch werden?

Eckstein: Sie sprechen derzeitig den Entwickler an und nicht den Endkunden. Da haben wir noch Luft nach oben. Usability bzw. eine einfache Bedienung ist ein heißes Thema, da es die Höhe von Kosten beeinflusst. Wenn die Usability nicht gut ist, benötigt man z.B. deutlich länger, um jemanden zu schulen. Aber auch wenn ein Mitarbeiter eine Software öfter nutzt, stellt sich die Frage: Wie hoch ist der Aufwand, um eine Lösung zu entwickeln. Von daher ist es für uns essentiell, an diesem Thema zu arbeiten. Eine gute Hilfe sind Standardisierungen. Vor zehn Jahren mussten wir zu jeder Kamera und zu jedem Framegrabber ein dediziertes Interface schreiben – heute basiert das alles auf Standards. Standards wie OPC Vision helfen auch bei der Fertigungsintegration, also in der Vertikalen nach unten in die SPS bzw. nach oben in das ERP-System. Damit wird Integration zunehmend einfacher. Unsere Aufgabe ist die klassische Usability: Wie schwierig ist es einen Parameter zu finden, wie schnell kann man ein User-Interface generieren, gibt es ein Log-in oder ein User-Management? Wie gut muss man programmieren können, um einen Ablauf zusammenzustellen? Das sind die Fragen, denen wir uns stellen. Der Bedarf nach erhöhter Nutzerfreundlichkeit hat in den letzten Jahren nochmals stark zugenommen.

Munkelt: Bei dem Prozess der Entwicklung oder Überarbeitung von Leistungsmerkmalen prüfen wir bereits die Usability selbst, das heißt es schaut jemand – außerhalb der Entwicklungsabteilung – mit ganz anderen Augen auf die Nutzerfreundlichkeit und spiegelt den internen Entwicklern wider, was sie eigentlich gerade gemacht haben und so entsteht eine Feedback-Schleife.

Eckstein: Diese läuft auf verschiedenen Ebenen: In der Entwicklung, abteilungsübergreifend in den Support hinein bis hin zum (Pilot-)Kunden, der damit arbeitet und sagt, was in seiner Umgebung besser für dieses und jenes Feature wäre. Aber auch die Erwartungshaltung an die Usability ist stark gestiegen, da jeder von uns ein Smartphone hat. Wer so ein Gerät nutzt, gewöhnt sich an diese Einfachheit und damit entsteht der Wunsch, dass dies auch bei der Arbeit so einfach gehen muss.

inVISION: Herr Eckstein, nach all den Jahren bei MVTec: Was ist der Augenblick, an den Sie sich am liebsten erinnern?

Eckstein: 2009, also im Jahr der Finanzkrise, haben in Asien manche Firmen einfach ein halbes Jahr zugemacht. Wir hatten auch damals unsere Innovationstage dort, um unseren Kunden die neuesten Entwicklungen zu zeigen. Allerdings schickt kein Unternehmen jemanden in so einer Krise zu einer solchen Veranstaltung. Dennoch hatten wir fast tausend Teilnehmer bei dem Event. Viele, die dort waren, hatten den Wunsch mit einem guten Produkt aus der Krise herauszugehen. Die Erwartungshaltung war, wenn MVTec etwas Neues vorstellt, dann sind dort wichtige Innovationen enthalten. So fuhren die Teilnehmer in ihrer Freizeit und auf eigene Kosten zu dieser Veranstaltung, um danach inspiriert loszulaufen und das umzusetzen. Dieser Vertrauensvorschuss, den uns Kunden aufgrund der Erfahrungen in der Vergangenheit entgegenbringen, hat mich einfach nur begeistert und ist gleichzeitig Ansporn weiterhin relevante Innovationen für unsere Kunden zu entwickeln.

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| Fachartikel

Ausgabe:

inVISION 3 2019
MVTec Software GmbH

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