Expertenrunde: Objektive für die industrielle Bildverarbeitung

Optik im Fokus

Expertenrunde: Objektive für die industrielle Bildverarbeitung

Welche Trends gibt es derzeit bei Objektiven für die Bildverarbeitung? Um dies zu klären, hat inVISION bei den Experten von Edmund Optics, Fujifilm, Kowa, Schneider-Kreuznach und Sill Optics nachgefragt.

 (Bild: Edmund Optics)

(Bild: Edmund Optics)

inVISION: Was sind für Sie die derzeitigen Trends im Objektivbereich?

Daniel van de Sandt (Kowa): Der Trend geht zu größeren Sensoren und höherer Auflösung. Auch die Vibrations- und Schockfestigkeit ist ein Thema, das immer mehr ins Bewusstsein der Anwender kommt.

Claudia Baier (Schneider-Kreuznach): Wir sehen komplementäre Trends: Es gibt eine erhöhte Nachfrage nach Hochleistungsobjektiven. Speziell in Asien/China wächst das Bewusstsein für Qualität. Aber auch im Bereich der niedrigeren Qualitätsansprüche steigt der Bedarf an kostengünstigen Objektiven. Hier geht es mehr um Masse statt Klasse. Daneben ermöglichen neue Sensoren neue Analysetechnologien. Dadurch werden Gebiete erschlossen, die vorher kaum Thema für die optische Messtechnik waren. So lässt sich z.B. heute die materielle Zusammensetzung von Produkten optisch bestimmen. Die Vielfalt an Anwendungen, wie z.B. bei der Plastiktrennung oder das Sortieren von Saatgut, eröffnet neue Märkte, die immer speziellere Objektive erfordern.

Andreas Platz (Sill Optics): Aufgrund steigender Möglichkeiten im Sensorbau ergeben sich sehr hohe Anforderungen an Objektivneuentwicklungen, z.B. Kombinationen aus großem Sensor, hoher Auflösung und Breitband-Farbkorrektur. Zudem gibt es den Trend zur Individualisierung aufgrund spezieller Applikationen und Systemauslegungen (z.B. Bauraumvorgaben). Außerdem werden geringe Einfallswinkel auf den Sensoren z.B. wegen eines Mikrolinsen-Arrays immer wichtiger.

Nina Kürten (Fujifilm): Für viele Anwender ist vor allem die Einfachheit bei der Objektivwahl wichtig. Sie möchten am liebsten eine Objektivserie haben, welche die Anforderungen aller – oder zumindest der meisten – ihrer Anwendungen erfüllt: Keine Randabschattung bei großen Sensoren, gleichzeitig ein hohes Auflösungsvermögen für kleine Pixel, kompakte Bauform, Verzeichnungsfreiheit, eine große Auswahl an Festbrennweiten und besonders auch Robustheit gegen Stöße und Vibrationen – und das alles zu einem attraktiven Preis.

Boris Lange (Edmund Optics): Neben den schon lange diskutierten und dennoch aktuellen Themen Flüssiglinsen und Ruggedization sehen wir eine verstärkte Nachfrage von Objektiven für Scheimpflug-Systeme. Ebenso spannend ist die Entwicklung zu großen Sensoren im APS-C Format und die damit verbundene Frage eines neuen Objektivanschlusses.

inVISION: Flüssiglinsen halten immer stärker Einzug in industrielle Anwendungen. Welche Trends sehen Sie dort?

B. Lange: Für den breiten Markt wird es entscheidend sein, die Handhabbarkeit der Systeme für die Anwender so weit wie möglich zu vereinfachen. Entwicklungen wie beispielsweise die Kameras von Pixelink und IDS, bei denen die notwendige Hardware zur Steuerung der Flüssiglinse bereits in der Kamera implementiert ist und per Software einfach bedient werden kann, ist ein gutes Beispiel hierfür.

A. Platz: Bei der Verwendung von Flüssiglinsen erkennt man auch den Trend zu höheren Auflösungsanforderungen, was in vielen Fällen auch durch die Apertur der verfügbaren Flüssiglinsen begrenzt ist.

D. van de Sandt: Flüssiglinsen bieten große technische Vorteile. Viele Anwender schrecken aber vor der Benutzung zurück, weil ihnen die Kosten zu hoch und die Ansteuerung zu kompliziert ist.

C. Baier: Noch reichen Flüssiglinsen nicht an die optische Qualität klassischer Objektive heran. Dafür haben sie aber andere Vorteile, wie die schnelle Fokussierung auf unterschiedliche Objekthöhen. Vor allem in der Logistik sehen wir hier Potenzial. Wenn hohe Auflösungen gefragt sind, eignen sich aber klassische Hochleistungsobjektive besser.

inVISION: Wie sieht es mit Neuheiten bei telezentrischen Objektiven aus?

C. Baier: Telezentrische Objektive haben viele Einsatzgebiete. Oft werden sie aber auch verwendet, obwohl endozentrische Objektive geeigneter wären. Wenn der Telezentrierbereich mit Schärfentiefe verwechselt wird, ist das System bei großen Objektfeldern durch die ebenfalls große Frontlinse eines telezentrischen Objektivs unnötig schwer und kostspielig.

A. Platz: Auch bei telezentrischen Objektiven setzen größere Sensoren mit hoher Auflösung die maßgeblichen Trends. Insbesondere die Breitbandkorrektur für Farbaufnahmen oder spektrale Bildauswertung erhöhen die Anforderungen, weil spezielle Glassorten in großem Durchmesser bearbeitet werden müssen. Eine Farbkamera mit großer Sensordiagonale und kleinen Pixeln kann nur schwer mit ‚Standard‘-telezentrischen Objektiven gepaart werden. Zudem ist sich der Kunde oder Kamerahersteller oft nicht bewusst, welche Kosten bei so einer Lösung entstehen. Das ist gleichermaßen eine Herausforderung und eine Chance für den Markt.

D. van de Sandt: Kowa hat telezentrische Objektive mit variabler Vergrößerung, sodass die Kunden eine gewisse Flexibilität bei der Anwendung haben.

B. Lange: Die neuesten Entwicklungen in diesem Bereich sind die Integration von Flüssiglinsen und die Abdeckung von größeren Sichtfeldern. Wenn es um die Verwendung von telezentrischen Objektiven mit großen Sensoren geht, gibt es allerdings noch keine große Auswahl auf dem Markt, so dass man davon ausgehen kann, dass diese Lücke in naher Zukunft geschlossen wird.

inVISION:  Welche Anforderungen ergeben sich für Objektive bei SWIR- oder Hyperspectral Imaging (HSI) Anwendungen?

A. Platz: Die hyperspektrale Bildgebung erfordert hohe Transmission über einen breiten Wellenlängenbereich und eine Farbkorrektur ohne nennenswerte Einbußen oder Fokusverschiebung. Zudem ist ein hoher Lichtbedarf und eine gleichmäßige Abbildungsleistung über das gesamte Feld notwendig.

B. Lange: Für Anwendungen im SWIR-Bereich, die hohe Transmission benötigen, ergeben sich signifikante Einschränkungen an die optischen Gläser, die man verwenden kann. Da diese Gläser sehr teuer sind, hat dies deutliche Auswirkungen auf den Preis eines SWIR-Objektives. Ist die Transmission nicht entscheidend, kann man eventuell auch mit einem normalen Objektiv mit MgF-Coating zurecht kommen. Bei HSI-Anwendungen ist neben der Transmission meistens eine geringe Verzeichnung vorteilhaft. Bei der Snapshot HSI ist es von Vorteil, wenn der Winkel des Hauptstrahls auf der Bildseite klein ist bzw. idealerweise 0° beträgt, da direkt auf dem Sensor optische Filter eingesetzt werden, die auf 0° ausgelegt sind und deren spektrale Charakteristik vom Einfallwinkel des Lichts abhängt.

C. Baier: Hier gibt es durchaus Potenzial, aber bisher noch wenige Anwendungen im industriellen Bereich. Hersteller entsprechender Kameras und Objektive suchen schon länger nach industrietauglichen Anwendungen. Dies gilt vor allem für HSI, bei dem die langen Integrationszeiten von zwei bis drei Sekunden pro Bild bisher einen Durchbruch behindern. Anders im SWIR-Bereich: Hier wächst die Nachfrage mittlerweile stetig. Noch sind die Auflösungen relativ niedrig, es ist aber davon auszugehen, dass sich das in den nächsten Jahren ändert. So wie im Visuellen immer höhere Auflösungen gefordert werden, wird auch eine Nachfrage nach hochauflösenden SWIR-Aufnahmen entstehen.

D. van de Sandt: Der Trend bei SWIR-Sensoren geht zu höherer Auflösung und damit verbundenen kleineren Pixeln, teilweise auch zu kleineren Sensorformaten. Es werden zudem Objektive gefragt sein, die eine Transmission von VIS bis SWIR haben und fokusstabil bleiben.

inVISION: Wie sieht es mit Objektiv-Anschlüssen aus: Sind hier Neuerungen für den Industriebereich zu erwarten?

B. Lange: Im Zusammenhang mit den neuen Sensoren von Sony und e2v im APS-C Format setzt Edmund Optics auf die Renaissance des TFL-Anschlusses. Für dieses Format ist C-Mount zu klein, und F-Mount zum einen zu groß, aber auch nicht für das industrielle Umfeld entworfen. Lucid Vision hat eine erste Kamera mit TFL-Mount auf den Markt gebracht. Es bleibt abzuwarten, ob auch andere Kamerahersteller auf diesen Zug aufspringen.

N. Kürten: Seit Jahrzehnten hat sich der C/CS-Mount für kompakte Industrie-Kameras als Standard fest etabliert. Die breite, herstellerübergreifende Auswahl an Kameras und Objektiven mit C/CS-Mount ist ein großer Vorteil für die Anwender.

D. van de Sandt: Ich erwarte hier in den nächsten Jahren keine Neuerungen.

C. Baier: Mit wachsenden Sensorgrößen kommt der C-Mount mit seinem 1″ Durchmesser an seine Grenzen. Allerdings ist er sehr etabliert und vor allem als einziger Industrieanschluss standardisiert. Die Auswahl an alternativen Anschlüssen wächst aber. Schneider-Kreuznach ermöglicht bei vielen Objektiven mit einer V-Mount Schnittstelle über verschiedene Adapter einen Anschluss an die unterschiedlichsten Formate.

inVISION: Wie beurteilen Sie den EMVA Standard ‚Open Lens Communication‘?

C. Baier: Ein wichtiges Thema für jeden Objektivhersteller. Der neue Standard soll sicherstellen, dass die bestmögliche Kamera für die betreffende Situation ausgewählt und dann jedes verfügbare Objektiv eingesetzt werden kann. Die Standardisierung des mechanischen Anschlusses ist für uns sehr hilfreich. Welche Ansprüche das Objektiv in Bezug auf den elektrischen Anschluss zu erfüllen hat, wird sich im Verlauf dieser Initiative herausstellen.

N. Kürten: Die Industrie 4.0 fordert von Fertigungsanlagen eine immer größere Flexibilität, das heißt eine einzige Anlage soll in der Lage seine eine möglichst große Vielfalt an Produkten zu fertigen. In diesem Zuge steigt der Bedarf nach Optiken, deren Brennweiten und Blendenöffnungen über die Kamera elektronisch verstellbar sind.

D. van de Sandt: Die Kommunikation zwischen Kamera und Objektiv bietet noch viel ungenutztes Potential. Allerdings können zusätzliche elektronische Bauteile, Kabel und Kontakte zur Kamera im Einsatz unter industriellen rauen Bedingungen die Zuverlässigkeit beeinträchtigen, bis hin zu einem Systemausfall. Außerdem steht hier ein weiterer nicht unerheblicher Kostenfaktor an. Diese Technologie eignet sich daher eher für Anwendungen, bei denen häufig das Objektiv gewechselt werden muss.

B. Lange: Für den größten Teil des heutigen Visionmarktes ist eine Kommunikation zwischen Objektiv und Kamera nicht relevant. Der allgemeine Preisdruck wird auch mittelfristig eine Implementierung der aus dem Konsumerbereich bereits bekannten Features in der breiten Masse nicht möglich machen. Es gibt allerdings Nischenbereiche, in denen die technischen Möglichkeiten, die mit der Kommunikation zwischen Objektiv und Kamera einhergehen, einen echten Mehrwert bietet.

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inVISION 3 2019
TeDo Verlag GmbH

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