Kontur- und Lageerkennung von Fahrzeugtüren bei Audi

Kontur- und Lageerkennung von Fahrzeugtüren bei Audi

Mit der robotergestützten Applikation von Tür-Primärdichtungen in Rollkopftechnik hat Audi einen neuen Prozessstandard für seine Fahrzeugmontage entwickelt. Die für den Prozess erforderliche, millimetergenaue Sichtführung der 6-Achs-Roboter gewährleistet eine Visionlösung.

 Projiziertes Pattern zur 3D-Erfassung der Bauteilgeometrie (Bild: Audi AG)

Projiziertes Pattern zur 3D-Erfassung der Bauteilgeometrie (Bild: Audi AG)

Das VMT OSC6D-System (Object Shape Capture) von VMT Machine Vision Technic Bildverarbeitungssysteme ermittelt die Kontur- und Lagedaten der Fahrzeugtüren unterschiedlicher Modelle, die im Audi-Werk in Ingolstadt vom Band laufen. Form und Position der in einem Transportgestell befindlichen Bauteile werden dabei durch einen Stereoprojektionssensor aufgenommen. Die flächenbasierte Antastung des Visionsystems liefert – im Gegensatz zum Antasten von Kanten, Löchern und anderen mechanischen Bauteilemerkmalen – immer genügend Details für die exakte Lageerkennung und die Identifizierung der Türentypen. Die VMT-Softwareplattform MSS (Multi Sensor System) vergleicht dabei die ermittelten Kontur- und Positionswerte mit den gespeicherten CAD-Referenzdaten und ermittelt die tatsächlichen Bauteile-Lagekoordinaten zur Führung der 6-Achs-Roboter. Dadurch gewährleistet die Bildverarbeitungs-Systemlösung beherrschbare, stabile und hoch verfügbare Applikationsprozesse für verschiedene Türvarianten – zu denen per MSS-Einricht-Wizard jederzeit neue Türmodelle hinzugefügt werden können.

 Kontrollierte Türentnahme durch den Roboter (Bild: Audi AG)

Kontrollierte Türentnahme durch den Roboter (Bild: Audi AG)

Applikation von Türdichtungen

Der Produktionsbereich Manufacturing Engineering der Audi AG hat die robotergestützte Rollkopf-Applikationsanlage als Systemlieferant projektiert. Sie besteht aus vier identischen Roboterzellen, die im Wesentlichen neben dem 6-Achs-Roboter mit Greifer aus jeweils einem Rollkopf mit vorlaufender Reinigungseinheit, einer Dichtungszuführung mit integrierter Stoßerkennung und Lochprägeeinheit sowie einer Kamera-Systemlösung VMT OSC6D aufgebaut sind. Die Rollkopftechnik ersetzt die Plattentechnik – den bisherigen Prozess-Standard. Dieser Wechsel kommt einem Paradigmenwechsel gleich, denn anstelle vorgefertigter und bauteilespezifisch bereitgestellter Tür-Primärdichtungen werden nun Dichtungsprofile von einer Endlosrolle verarbeitet und für jeden Türentyp individuell angefertigt. Der zweite Unterschied ist, dass die gesamte Tür jetzt mit höchster Präzision entlang eines stationären Rollkopfs geführt wird. Die funktionsgerechte, exakte Dichtungsapplikation setzt somit eine lagegenaue Handhabung der Tür voraus. Die präzise Erkennung der Bauteilkontur vor der Entnahme durch den Roboter ist dafür eine entscheidende Voraussetzung: Die optische Auflösung des Systems ist besser als +/-1mm. Sie definiert damit die bei der Sichtführung durch das Kamerasystem erzielbare Greifgenauigkeit.

Türen-Identifikation

Um höchstmögliche Sicherheit beim Greifen zu gewährleisten, muss jedes Bauteil zuvor in seiner Form erkannt und die Lage im Raum hochgenau erfasst werden. Das Antasten ist erforderlich, weil sich die Türen – obwohl im Transportgestell mit einer Lagetoleranz von +/-0,3mm an den Scharnierbolzen eingehängt und verriegelt – während der taktsynchronen Anlieferung zur Rollkopf-Applikationsanlage in ihrer Position verschieben können. Da jedes Gestell zwei Türen – vorne und hinten – anliefert, die von zwei Robotern entnommen werden, muss hier ein zusätzlicher, unvermeidlicher Störeinfluss ausgeglichen werden. Erreicht das Transportgestell mit den Türen das Entnahmefenster der Station, erfolgt eine Positionsmeldung, die den Applikationsprozess initiiert. Jede Tür im Gestell wird nun, bevor sie entnommen wird, vom VMT OSC6D-System der jeweiligen Rollkopf-Applikationszelle per 3D-Scan sensorisch erfasst. Die flächenbasierte Antastung mit einem an der Handachse des Roboters montierten Stereoprojektionssensor bildet das Bauteil als Punktwolke ab. Diese gewährleistet eine hochpräzise Form- und Lageerkennung und ermöglicht die Darstellung eines genauen 3D-Abbilds des Bauteils im Raum. Farbvarianzen oder unterschiedliche optische Eigenschaften der Bauteiloberflächen haben dabei keinen praktischen Einfluss auf die Datenqualität – und damit die Prozesssicherheit. Die MSS-Software ermittelt anhand der Daten die benötigte Positionsverschiebung des Koordinatensystems (Base-Verschiebung 1), wodurch die räumliche Roboter-Koordinatenbasis auf die tatsächliche Bauteilposition im Tür-Gestell angepasst und verschoben wird. Weiterhin ist für die Roboterführung zu beachten, dass die Türen gewichtsbedingt unter Vorspannung oder leicht gekippt in den Transportgestellen hängen. Diese Verkippung wird durch eine zusätzliche Anpassung der Roboter-Koordinatenbasis (Base-Verschiebung 2) berücksichtigt.

360°-Türhandling

Mit den Daten des VMT OSC6D-Systems kennen die Roboter der Rollkopf-Applikationsanlage nun die exakte Greifposition des Bauteils. Das Tür-Primärprofil wird durch einen Endlos-Zuführstrang, bestehend aus einer Abwickelungseinheit und einem Dichtungspuffer, kontinuierlich bereitgestellt. Der Roboter dreht die Fahrzeugtür um 360° an dem Applikations-Rollkopf vorbei, der durch normal zur Blechoberfläche aufgebrachten Druck das Dichtungsprofil an der Türzarge anfügt. Die Lagetoleranz der Dichtung von +/-1mm gegenüber der CAD-Referenz wird bei diesem Prozess eingehalten. Dies stellt die konstruktiv vorgegebene Verbau-Geometrie für die zuverlässige Funktion am fertigen Fahrzeug sicher. Nach Fertigstellung des Applikationsprozesses wird die Tür mit dem beim Ausheben ermittelten Verschiebungswert zurück in das Transportgestell gelegt. Ein eventuell auftretender Absetzfehler wird durch Sensorik im Greifmittel erkannt und verhindert. Der Ansatz der Sensoroffenheit des VMT OSC6D ermöglicht es, anstelle eines Stereoprojektionssensors auch andere Bildaufnehmer, z.B. LiDAR-Sensoren, zu integrieren und das Gesamtsystem bei abweichenden Anforderungen und Randbedingungen in anderen Audi-Werken applikationsbezogen zu optimieren .

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