Was bedeutet der Chipmangel für die Visionbranche?

Was bedeutet der Chipmangel für die Visionbranche?

Chips und Image Sensoren werden langsam zur Mangelware. Als Folge davon beginnen unter anderem die Lieferzeiten von (Vision-)Produkten anzusteigen, Was bedeutet aber der Chipmangel konkret für die Visionbranche. Die inVISION hat bei Basler, IDS, ViTeCom und VDMA nachgefragt.

Wachstumsbremse

Autor: Christian Stoffers, Head of Sales EMEA, Basler AG

Die Nachfrage-Liefer-Situation für elektronische Komponenten hat sich in den letzten Monaten zunehmend verschärft und die Lieferzeiten für Produkte wie Chips, Sensoren und Elektronikbauteile sind deutlich gestiegen. Gleichzeitig ist die Nachfrage in der Visionbranche während der Pandemie stabil geblieben, bei einigen Marktteilnehmern ist sie sogar deutlich gestiegen. Diese Situation erfordert nicht nur sehr hohe Kreativität und Leistungsbereitschaft bei den Kolleginnen und Kollegen im Einkauf, sondern stellt auch eine ständige kommunikative Herausforderung dar, da die Kunden einen realistischen Ausblick für ihre unternehmerische Planung und größtmögliche Transparenz über die aktuelle Liefersituation erwarten.

Der Chipmangel bedeutet für unser Unternehmen und sicher auch für weite Teile der Visionbranche eine deutliche Wachstumsbremse. Christian Stoffers, Basler AG (Bild: Basler AG)

Der Chipmangel bedeutet für unser Unternehmen und sicher auch für weite Teile der Visionbranche eine deutliche Wachstumsbremse.
Christian Stoffers, Basler AG (Bild: Basler AG)

Der Basler Einkauf konnte eine Grundversorgung mit kritischen Komponenten für das ganze Jahr sichern, auch Bestellungen für die nächsten zwölf bis 18 Monate bis in die zweite Hälfte des Jahres 2022 wurden bereits getätigt. Das Beschaffen zusätzlicher Mengen zur Deckung einer weiter steigenden Nachfrage dürfte jedoch sehr schwierig werden. Dementsprechend bedeutet der Chipmangel für unser Unternehmen und sicher auch für weite Teile der Visionbranche eine deutliche Wachstumsbremse.

 

Seit Dezember 2020 haben wir unseren Produktions-Output jeden Monat erhöht und liegen derzeit bei +40% im Vergleich zum vergangenen Geschäftsjahresmittel. Wir konzentrieren alle unsere Ressourcen darauf, dieses Niveau zu halten und unsere Produktionskapazität ab Mitte dieses Jahres sogar noch zu erhöhen, vorausgesetzt, die Versorgungsseite bleibt auf einem ähnlichen Niveau wie heute. Unser weltweiter Einkauf arbeitet unermüdlich mit allen zur Verfügung stehenden strategischen und operativen Ressourcen und Möglichkeiten daran, direkt von Hauptlieferanten oder über Broker zu beziehen, um den Vorrat an Komponenten trotz der aktuellen Preisvolatilität zu erhöhen. Unser gesamtes weltweites Produktionspersonal steht unverändert bereit, um die Produktionskapazitäten weiter hochzufahren, sobald sich die Materialversorgung verbessert und stabilisiert. www.baslerweb.com

Europa könnte an Bedeutung verlieren

Jürgen Hartmann, Geschäftsführender Gesellschafter, IDS Imaging Development Systems GmbH

Die Auswirkungen des Chipmangels sind weitaus schwerwiegender, als es über die Medien aktuell kommuniziert wird. Jürgen Hartmann, IDS (Bild: IDS Imaging GmbH)

Die Auswirkungen des Chipmangels sind weitaus schwerwiegender, als es über die Medien aktuell kommuniziert wird. Jürgen Hartmann, IDS (Bild: IDS Imaging GmbH)

Angesichts von News-Meldungen wie ‚Beste Auftragslagen‘ oder ‚Überraschend starke Nachfrage nach deutschen Produkten‘ könnte man meinen, dass die Weltwirtschaft kaum noch am Rohstoff- bzw. Chipmangel leidet und Lieferengpässe der Vergangenheit angehören. Doch die Ernsthaftigkeit der aktuellen Situation wird von der deutschen Presse nicht ausreichend kommuniziert, denn die Auswirkungen sind bei unseren Kunden noch nicht gänzlich angekommen. Die nebenbei in einer Randnotiz erwähnte Kurzarbeit in der Automobilindustrie zeigt nicht die Gefahr auf, die den gesamten Maschinen- und Anlagenbau und damit den deutschen Mittelstand betrifft.

Es ist richtig, dass die Auftragslage aktuell auch in der Vision Branche überdurchschnittlich gut ist. Leider können diese Aufträge nicht bearbeitet und ausgeliefert werden. Das hat zur Folge, dass die Unternehmen keine Umsätze erwirtschaften. Dies wird Kurzarbeit und im schlimmsten Fall weitere Insolvenzen von Firmen zur Folge haben. Europa könnte damit mehr und mehr an Bedeutung als Lieferant von Komponenten verlieren. Nordamerika und Asien spielen dagegen eine immer größere Rolle. Neben dem wirtschaftlichen Aspekt kommt noch die zusätzliche Belastung der Mitarbeiter in den Bereichen Einkauf und Auftragsabwicklung hinzu. Aufträge, die bisher geradlinig abgearbeitet werden konnten, müssen jetzt unter Umständen mehrfach geprüft und aktualisiert werden, um Liefertermine zu verschieben oder Teillieferungen festzulegen. Infolgedessen ist die Gefahr von übermäßigen psychischen Belastungen in diesen Bereichen überdurchschnittlich groß.

Nach anfänglichen Lieferverzögerungen nennen uns die Chiphersteller inzwischen gar keine Liefertermine mehr bzw. ihre Lieferzusagen reichen bis ins Jahr 2022 und teilweise sogar 2023. Wenn wir heute nicht wissen, ob und wann wir Ware erhalten, können wir auch unseren Kunden keine verbindlichen Zusagen machen. Das betrifft leider mittlerweile viele unserer Produkte.

Was können wir als Unternehmen tun, um die Situation zu entschärfen? Wir bei IDS sind täglich in Kontakt mit allen relevanten Lieferanten, um eventuelle Engpässe frühzeitig zu erkennen und rechtzeitig Gegenmaßnahmen einzuleiten. Unsere Entwicklungs- und Einkaufsabteilungen arbeiten daran, alternative Bauteile und Lieferanten zu identifizieren, freizugeben und einzusetzen, um weiterhin möglichst zuverlässige Liefertermine und wettbewerbsfähige Lieferzeiten zu garantieren. Unseren Kunden raten wir, größere Mengen und Rahmenaufträge frühzeitig mit uns zu besprechen und langfristig zu planen, um gemeinsam alle Optionen und gegebenenfalls alternative Produkte auf Verfügbarkeit prüfen zu können. Die Auswirkungen des Chipmangels sind weitaus schwerwiegender, als es über die Medien aktuell kommuniziert wird. Und wir sind keinesfalls über den Berg. Ein transparenter Informationsfluss und enge Zusammenarbeit mit den Kunden ist notwendig, um Folgeschäden für Industrie und Wirtschaft entgegenzuwirken. www.ids-imaging.de

Müssen wir wieder lokaler denken?

Autor: Andreas Schaarschmidt, CEO, ViTeCom

Der derzeitige Chipmangel bedeutet für die Visionbranche einen massiven Standort-nachteil bzw. Verlust von Wettbewerbskraft. Andreas Schaarschmidt, ViTeCom (Bild: ViTeCom)

Der derzeitige Chipmangel bedeutet für die Visionbranche einen massiven Standort-nachteil bzw. Verlust von Wettbewerbskraft.
Andreas Schaarschmidt, ViTeCom (Bild: ViTeCom)

Der derzeitige Chipmangel bedeutet für die Visionbranche einen massiven Standortnachteil bzw. Verlust von Wettbewerbskraft für die lokalen Komponenten- und System-Hersteller. Wir spüren nun die Auswirkungen durch Abhängigkeit von der ‚Made (somewhere) in the world´ Strategie. Es wird produziert wo günstige Arbeitskräfte zu haben sind und wo sich Vorteile aus der technologischen Clusterung ergeben. Lange haben wir Geschäftsleute die Vernetzung der Welt sehr pragmatisch und an der Sache orientiert vorangetrieben. Im Moment, wo Covid-19 auch die menschlichen Verbindungen erschweren, verdichtet sich der Eindruck, dass lokale Interessen durch erhöhte Binnennachfrage mit größerer Priorität befriedigt werden wollen. Ein Beispiel ist die 5G Technologie. Unzählige asiatische Brands saugen am Markt für FPGAs und Prozessoren. Kombiniert mit mehr Wohlstand und dadurch lokaler Automatisierung ergeben sich massive Herausforderungen für den deutschen Maschinenbau. Mein Vater war 35 Jahre bei Siemens und zeigte mir damals noch die Chipfabriken und Herstellung der sogenannten Kommunikationsendgeräte. Dort habe ich noch Geld für mein erstes Auto verdient. Lithographische Prozesse und technische Begeisterung waren damals die Enabler für die Konzentration der Halbleiter auf engsten Raum. Vielleicht müssen wir einfach wieder damit anfangen, lokaler zu denken. www.vitecom.de

 

Materialmangel belastet die Branche

Autorin: Anne Wendel, Fachabteilung Machine Vision, VDMA Fachverband Robotik + Automation

Die VDMA Marktbefragung ‚Machine Vision in Europe‘ zeigt: die Bildverarbeitungsindustrie hatte im Covid-Jahr 2020 ’nur‘ 4% Umsatzeinbußen zu verzeichnen. 2021 ist sehr gut angelaufen, wie aus der monatlichen VDMA Auftragseingangs- und Umsatzstatistik hervorgeht. Die Auftragsbücher sind voll. Mit Sorge blicken wir allerdings alle auf den Materialmangel, besonders Elektronikkomponenten (Chips, Sensoren, Halbleiter), der nicht nur die Bildverarbeitungsindustrie, sondern die gesamte Investitionsgüterindustrie mit ihren komplexen Wertschöpfungsketten hart trifft. Rohmaterialien und Komponenten werden nur zum Teil direkt beschafft, fließen zum großen Teil aber auch über zugekaufte Komponenten und Baugruppen in die eigenen Produkte ein.

Trotz vielschichtigem Materialmangel zeigt sich: die Nachfrage nach verarbeitung ist davon nicht betroffen. Anne Wendel, VDMA Fachverband Robotik + Automation (Bild: VDMA e.V.)

Trotz vielschichtigem Materialmangel zeigt sich: die Nachfrage nach verarbeitung ist davon nicht betroffen.
Anne Wendel, VDMA Fachverband Robotik + Automation (Bild: VDMA e.V.)

Durch die hohe Produktkomplexität im Maschinenbau kulminieren dabei die Risiken und Probleme mehrerer Wertschöpfungsketten in der Investitionsgüterindustrie. Materialmangel bezieht sich dabei aber nicht allein auf Elektronik, sondern auch auf Stahl, Kunststoffartikel und vieles mehr. Der VDMA begleitet den Materialmangel im Maschinenbau seit Monaten durch Umfragen. Die Lage ist ernst, eine Entspannung ist nicht in Sicht. Laut der letzten Umfrage (von Anfang September) sehen 81 Prozent der Maschinenbaufirmen merkliche oder gravierende Beeinträchtigungen in ihren Lieferketten. Besonders problematisch ist die Versorgung mit Elektronikkomponenten und Stahl. Auch wenn ein Gesamtmarkt, wie etwa Elektronik, insgesamt angespannt ist, so ist die Versorgungslage dennoch nicht für jeden Artikel gleich schlecht. Die Unternehmen benötigen aber einen konkreten Artikel und nicht irgendeinen Artikel. Hinzu kommen unterschiedliche Beschaffungs- und Lagerhaltungsstrategien sowie unterschiedliche Substitutionsmöglichkeiten. Unterm Strich lassen sich wachsende Versorgungsprobleme feststellen, die zum Teil auch die Lieferfähigkeit der Unternehmen des Maschinen- und Anlagenbaus tangieren. Diese Versorgungsprobleme lassen sich aber nicht ohne weiteres in ihrem Ausmaß quantifizieren und in ihrer Folgewirkung hochrechnen. Für die Bildverarbeitungsindustrie heißt das: Lieferzeiten sind sehr lang, werden zum Teil spontan angepasst, je nach Materialzulieferung. Trotz vielschichtigem Materialmangel überall, auch bei den Kunden, zeigt sich: die Nachfrage nach Bildverarbeitung ist davon nicht betroffen. Nicht nur in und um die Fabriken weltweit, auch in neuen Bereichen und Anwendungen ist Machine Vision gefragt. Allerdings müssen diese Aufträge erst einmal zu Umsatz werden. Und hier machen uns allen die anhaltenden Lieferengpässe und Materialknappheiten zunehmend Sorge. www.vdma.org/machine-vision

Tedo Verlag GmbH

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