Das Ende des Nischendaseins

Das Ende des Nischendaseins

Wie sieht die Zukunft der Bildverarbeitung aus?

Der Markt für die industrielle Bildverarbeitung (IBV) kommt in eine neue Phase. Die steigende Bedeutung im Umfeld von Big Data und Industrie 4.0 fordert nicht nur die technische Kreativität der Entwickler, sondern auch neue Konzepte und Organisationsstrukturen auf Seiten der Lösungsanbieter. inVISION sprach mit Markus Schnitzlein, Geschäftsführer von Chromasens und neuerdings auch Mitglied im Board of Directors der Lakesight Technologies Holding.

„Eine technologische Herausforderung sehe ich darin, unterschiedliche 3D-Messverfahren zu einer kombinierten Lösung zu fusionieren und die Rechenleistung zu reduzieren.“ Markus Schnitzlein, Chromasens (Bild: Chromasens GmbH)

Laut VDMA war die Bildverarbeitungsbranche in Deutschland bislang durch eine Vielzahl innovativer kleiner und mittlerer Unternehmen mit durchschnittlich 55 Mitarbeitern gekennzeichnet. Können solche Unternehmensstrukturen der steigenden Nachfrage, aber auch den wachsenden Anforderungen der Kunden an Technologie und Innovation auf Dauer gerecht werden?

Markus Schnitzlein: Angesichts der dynamischen Marktentwicklung befindet sich die IBV weltweit in einer Umbruchs- und Konsolidierungsphase. Aufgrund der großen Zahl kleiner IBV-Unternehmen hierzulande, ist diese Entwicklung in Deutschland besonders ausgeprägt. Die meisten Anbieter lebten bislang von ihren exzellenten Kontakten zu vergleichsweise wenigen Anwendern, für die sie kundenspezifische Speziallösungen entwickelten. Auch Chromasens ist nach erfolgreicher Unternehmensentwicklung mit einem Jahresumsatz von zuletzt 10 Millionen Euro an eine Wachstumsschwelle gestoßen. Um diese zu überschreiten und neue Anwendersegmente zu erschließen, sind neue und insbesondere vertriebliche Organisationsstrukturen notwendig, die zu etablieren uns viel Energie, Zeit und Geld gekostet hätte. Vielfach werden IBV-Unternehmen in dieser Situation von großen Unternehmen aufgekauft und komplett in deren Konzernstrukturen integriert. Wir haben nach anderen Wegen gesucht, unser Unternehmen einerseits weiter zu entwickeln, andererseits aber unsere Identität als Chromasens und damit auch ein hohes Maß an unternehmerischer Unabhängigkeit zu bewahren.

Ihr Unternehmen ist seit Mai 2017 Mitglied der Lakesight Technologies Holding, einem Zusammenschluss von aktuell drei hochspezialisierten IBV-Unternehmen mit unterschiedlichem Produktportfolio. Welche Erwartungen haben Sie an diesen Zusammenschluss?

Schnitzlein: Wir haben die Frage nach zu erwartenden Synergien genau analysiert und uns dann für zwei Partner entschieden, deren Produkt- und Lösungsangebot sich nicht überschneidet. Das italienische Unternehmen Tattile, ein weltweit führender Anbieter von Kameras für intelligente Verkehrssysteme, verfügt über eine sehr gut organisierte, hocheffiziente Struktur, von der Chromasens sicher profitieren wird, beispielsweise wenn es um die Verhandlung von Einkaufskonditionen bei Halbleiterherstellern geht. Mikrotron, ein Spezialist im Segment der Hochgeschwindigkeitskameras, besitzt – genau wie Chromasens – hervorragende Vertriebspartner in Asien und den USA. Davon profitiert wiederum Tatille, die in der Vergangenheit hauptsächlich den europäischen Markt bedient haben. Mikrotron und Tattile ziehen Nutzen aus der Chromasens-Kompetenz im Bereich der Beleuchtungstechnologie. Und das sind nur einige wenige von vielen Beispielen. Unserer Partnerschaft basiert darauf, dass jedes Unternehmen weiterhin eigenständig und unabhängig agieren wird, wir alle jedoch auch mit gemeinsamen Projektteams bei Kunden auftreten werden. Dies ist allerdings nur ein erster Schritt. Langfristig planen wir auch Kooperationen zur gemeinsamen Entwicklung neuer Produkte. Ein großes Potential hierfür sehe ich z.B. in der Entwicklung smarter Zeilenkamerasysteme.

3D-Hochleistungskameras tragen dazu bei, viele Mess- und Inspektionsaufgaben immer schneller und effizienter zu lösen. Welche Entwicklungsstufe haben 3D-Systeme heute bereits erreicht?

Schnitzlein: Noch sehen wir bei der 3D-Datenerfassung unterschiedliche technologische Ansätze. Während einige Anbieter Verfahren wie Time-of-Flight-Systeme oder die Lasertriangulation bevorzugen, setzen wir auf die Stereoskopie. Mit unseren 3D-Zeilenkameras erreichen wir inzwischen optische Auflösungen von 2,5µm und eine Genauigkeiten von bis zu 500nm. Je nach Aufgabenstellung hat jede der genannten Messverfahren Vor- und Nachteile und deckt, separat betrachtet, vielleicht gerade einmal 40% der Anwendungsfälle ab. Alle genannten Technologien erfordern zudem üblicherweise enorme Rechenleistung. Eine technologische Herausforderung für die Zukunft sehe ich darin, unterschiedliche 3D-Messverfahren zu einer kombinierten Lösung zu fusionieren und die Rechenleistung zu reduzieren.

„Zu meinem Erstaunen hat sich der Markt für Multispektral- und Hyperspektral-Lösungen im Laufe des vergangenen Jahres rasant gewandelt.“
Markus Schnitzlein, Chromasens (Bild: Chromasens GmbH)

Welche zukünftige Einsatzperspektiven sehen Sie für die von Ihnen entwickelten 12-kanaligen Multispektralkameras?

Schnitzlein: Zu meinem Erstaunen hat sich der Markt für Multispektral- und Hyperspektral-Lösungen im Laufe des vergangenen Jahres rasant gewandelt. War es in der Vergangenheit hauptsächlich die Druckindustrie, die derartige Systeme zum Beispiel bei der Inline- Farbmessung einsetzte, hat sich das Anwendungsspektrum inzwischen enorm vergrößert. Es reicht von der klassischen Materialprüfung bis hin zu modernen Umweltthemen wie der Abfallsortierung oder der Abgasuntersuchung mittels optischer Analyse. Eine wachsende Rolle spielen Spektralmessungen jenseits des sichtbaren Spektrums, beispielsweise im Infrarotbereich. Generell sind die Anforderungen an die Beleuchtung bei Farbmessungen besonders hoch. Wer multispektral Daten erfasst, muss auch multispektral beleuchten. Da LEDs typischerweise schmalbandig abstrahlen, ist es notwendig, verschiedenartige LEDs zu kombinieren oder ganz gezielt nur einzelne Frequenzbänder zu bestrahlen.

Intelligente Kameras und Embedded Vision Systeme, gewinnen zunehmend an Bedeutung. Wo kommen diese Systeme zum Einsatz?

Schnitzlein: Die immer weiter steigenden Anforderungen an Auflösung, Scan-Geschwindigkeit und/oder die Erfassung von Multi-Channel-Images erfordern immer schnellere Schnittstellen und Protokolle. Hier stoßen wir an technologische Grenzen, die nur umgangen werden können, indem mehr Rechenleistung in die Kameras integriert wird. Die Konzeption intelligenter Kameras stellt die Entwickler allerdings vor nicht unerhebliche Herausforderungen. Die Integration komplexer Elektronikkomponenten in immer kompaktere Gehäuse erfordert u.a. maßgeschneiderte Konzepte zur Wärmeableitung. Generell bietet die verteilte Vorverarbeitung der erfassten Daten in den eingesetzten Kameras deutliche Vorteile, da die zu übertragende Datenmenge und damit auch die Rechenbelastung des zentralen Bildverarbeitungssystems dadurch spürbar reduziert werden kann. Im Idealfall erfolgt die Beurteilung des aufgenommenen Bildes vollständig in der Kamera, und es werden keine Bilddaten, sondern nur ein Ergebnis an die zentrale Applikation übertragen. Ein Beispiel dafür ist eine Verkehrssystemlösung von Tattile. Die Kollegen haben ein intelligentes Kamerasystem für die Kennzeichenerkennung von Fahrzeugen entwickelt, bei dem die Bildauswertung komplett in der Kamera passiert und statt eines Fotos nur noch ein kurzer Datensatz mit dem erkannten Kennzeichen an den Zentralrechner übertragen wird.

Vor welchen Herausforderungen stehen die Entwickler von IBV-Komponenten und -Lösungen aktuell, und welche Produktinnovationen sind in den kommenden Jahren zu erwarten?

Schnitzlein: Neben den bereits genannten leistungsstarken intelligenten Kameras wird vor allem der Einsatz von künstlicher Intelligenz (KI) neue Trends in der IBV setzen. Ein Beispiel ist Deep Learning, ein Teilbereich des Machine Learnings. Deep Learning eignet sich für die IBV besonders gut, da hier üblicherweise große Datenmengen zur Verfügung stehen, aus denen sich Muster und Modelle ableiten lassen. Das Ergebnis sind IBV-Systeme, die wesentlich leichter adaptiert werden können und auch komplexe Zusammenhänge algorithmisch fassen können. Erste Bildverarbeitungslösungen, die auf Deep Learning Verfahren basieren, erwarte ich in einem Zeitraum von zwei bis drei Jahren.

Chromasens GmbH

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