Democratizing AI

AI-Workstation zum einfachen Einstieg in die Computer Vision
Der Einstieg in die AI fällt vielen Unternehmen noch schwer, nicht zuletzt wegen der komplexen Hardware-Auswahl. In einer AI-Workstation verbinden Robotron und Kontron nun zwei Lösungsansätze zur unkomplizierten Anwendung von Computer Vision. Die Workstation ermöglicht auch Einsteigern das Trainieren, Ausführen und Inferenz der Algorithmen für eine Vielzahl von Modellen und Frameworks.
Bild 2 | Robotrons Realtime-Computer-Vision-Plattform bezieht viele Themen, die in der Praxis als Herausforderungen gelten, mit ein und vereinfacht so deren Bedienung.
Bild 2 | Robotrons Realtime-Computer-Vision-Plattform bezieht viele Themen, die in der Praxis als Herausforderungen gelten, mit ein und vereinfacht so deren Bedienung.Bild: Kontron Europe GmbH

Die Robotron-Experten sind überzeugt, dass es nicht reicht, eine coole Data-Science-Plattform zu haben. Vielmehr müsse man auch die Sprache der Fertigungsleiter und Produktionsingenieure sprechen und interdisziplinär auftreten, um AI-Produkte in den Markt zu bringen. Das Motto des Dresdner Unternehmens lautet deshalb, den Kunden nicht nur innovative, sondern zugleich produktiv nutzbare Lösungen anzubieten. Dabei setzt man auf die AI-Methode des Reinforcement Learning. „Die Strategie, antrainierte und nachtrainierte Netze zu nutzen, bringt viele Vorteile. Das gilt zum Beispiel, wenn man einem neuronalen Netz schnell neue Fehlertypen beibringen möchte oder andere Farben eines Produkts oder Teils. Das ist in der Praxis wichtig, um AI-Lösungen schnell an neue Kontexte zu adaptieren“, erläutert Dr. Deepa Kasinathan, Product Owner und Gruppenleiterin Realtime Computer Vision bei Robotron. „Da sich meist nicht von vorneherein sagen lässt, welches neuronale Netzwerk sich am besten eignet, müssen die Domain-Spezialisten ein bisschen ausprobieren und vor allem auch die unterschiedlichen umliegenden Systeme einbinden“, erklärt Kasinathan. Doch das Produktdesign von Robotrons Realtime-Computer-Vision-Plattform bezieht all die Themen, die in der Praxis als problematische Herausforderungen gelten, implizit mit ein. Die offen konzipierten Schnittstellen ermöglichen nicht nur die Nutzung eines Frameworks oder neuronalen Netzes, sondern viele unterschiedliche Alternativen.

Bild 3 | Die neue AI-Workstation basiert auf der Workstation KWS 3000-CML von Kontron, auf der die RCV-Software von Robotron läuft.
Bild 3 | Die neue AI-Workstation basiert auf der Workstation KWS 3000-CML von Kontron, auf der die RCV-Software von Robotron läuft.Bild: Kontron Europe GmbH

Eine Hardware für (fast) alle Fälle

Die Herausforderung bei Kundenprojekten bestand zuvor in der Auswahl der passenden Hardware für das jeweilige Einsatzszenario. Hier arbeitetet Robotron schon seit längerem mit Kontron zusammen. Bei der Umsetzung von AI-Szenarien gibt es hardwareseitig immer zwei Ebenen: Zum einen eine Trainingsebene, in der Bilddaten aufgebaut werden. Hier kommt die Cloud ins Spiel, denn die für das Training kurzfristig benötigte hohe Rechenpower lässt sich kostengünstig mieten. Die andere Ebene ist jedoch der Algorithmus selbst, der möglichst vor Ort in der Nähe des Prozesses laufen soll. Dafür ist verlässliche und hochperformante Edge-Hardware notwendig. „Durch zahlreiche gemeinsame Proofs of Concept hat Robotron die Kontron als verlässlichen Hardware-Partner, der maßgeschneiderte Lösungen zur Verfügung stellt, schätzen gelernt“, so Deepa Kasinathan. Nachdem eine ganze Reihe von Konfigurationen getestet und immer wieder viel Energie in die Hardware-Auswahl investiert wurde, sah man sich den genutzten Stack genauer an. Was wäre, wenn der Initialaufwand, die passende Hardware zu ermitteln, überflüssig und stattdessen eine Art One-fits-all-Ansatz möglich würde?

Verlässliche Industrielösung

Die Analyse der Experten ergab, dass sich die Anforderungen auf ein für rund 80 bis 90% der Settings geeignetes Hardware-Portfolio herunterbrechen ließen. So entstand ein gemeinsames Standardprodukt, das auf der Workstation KWS 3000-CML basiert, auf der die RCV-Software läuft. Die Workstation im Midi-Tower-Gehäuse, ausgestattet mit Intel Core Prozessoren mit bis zu zehn Cores, bringt eine thermische Kühlung für einen 24/7-Betrieb bei bis zu 45°C mit. Bei der Grafikkarte entschied man sich für die Nvidia RTX 5000: „Das ist eine GPU-Generation mit genügend Processing Power und RAM für das Training, mit der sich in Millisekunden eine Bewertung eines erfassten Bildes treffen lässt“, erklärt Deepa Kasinathan. Mit dem System lässt sich eine gleichbleibende Prüfqualität auch bei Ramp-ups und spontanen Prozessproblemen sicherstellen. „Wenn noch schnellere Inferenzzeiten benötigt werden, schalten wir mehrere GPUs zusammen. Das Kontron-Konzept basiert auf einzelnen Bausteinen und lässt sich stark erweitern, ohne dass gleich eine neue Workstation angeschafft werden muss“, berichtet die Gruppenleiterin. Allerdings kommt es neben der Inferenz auch auf die Kameraanbindung an und welche Netzwerke mit welchen Latenzen zum Einsatz kommen. Inferenz ist dabei sowohl auf CPUs wie mit Intel OpenVino möglich, aber auch auf GPUs verschiedener Hersteller. Dabei lassen sich unterschiedliche Frameworks wie PyTorch oder TensorFlow und vortrainierte Netzwerke per Dropdown-Menü auswählen. Im Hintergrund sorgen die Software und hochperformante Hardware dafür, dass beide Frameworks reibungslos laufen. Weitere Netzwerke wie ONNX, Keras oder Microsoft CNTK können ebenfalls genutzt werden.

Revisionssichere Lösungen

Zu Projektbeginn hatte man noch erwogen, Standardkameras zur AI-Workstation zu konfigurieren. „Die Art und Weise, wie Bilder jeweils für einen Use Case aufgenommen werden, unterscheidet sich allerdings sehr stark, um es mit einer Kameratechnologie abzudecken“, so Kasinathan. Auch bei den SPS-Anbindungen sei die Varianz zu groß für vorkonfigurierte Softwarekomponenten. „Allerdings können Kunden Kontakt mit Kontron aufnehmen und spezifische Schnittstellen erhalten“, so die Expertin. Damit die AI im Prozess funktioniere, brauche es nicht nur trainierte Netze und gelabelte Bilder. Die Lösung müsse auch an die SPS der Vorsysteme angebunden, Sollwerte und Output-Orte geklärt und Sensorik und Lichtschranken eingebunden werden. Schließlich gelte es in der Industrie, zu revisionssicheren Lösungen zu kommen – beispielsweise um zu erkennen, dass ein korrektes Mindesthaltbarkeitsdatum an der richtigen Stelle aufgebracht wurde. Dabei könnten sich Anwender durch das One-fits-all-Konzept den größten Aufwand sparen.

Mit ihrem Standardansatz unterscheidet sich die AI-Lösung deutlich von anderen, aufwendigeren Konzepten am Markt. So sind manche Anbieter nur auf Daten-Labeling oder -Training auf der Cloud-Seite spezialisiert, andere nur auf das Processing. Mit einem übergreifenden System für Training, Deployment und Inferenz geht Robotron einen Schritt hin zur AI-Praxistauglichkeit. Dazu trägt vor allem auch der gewählte No-Code-Ansatz bei. Sowohl Data Scientists als auch Produktionsingenieure und selbst Maschinenbediener können neue Szenarien umsetzen. Programmierkenntnisse sind dabei nicht erforderlich. Damit die Experten auf dem Shopfloor mit der Anwendung klarkommen, hat man viel Energie in Lernvideos gesteckt, die auf YouTube verfügbar sind. Robotron ist überzeugt: Democratizing AI als Trend bedeutet zumindest in Teilen, dass der Flaschenhals, der durch den Fachkräftemangel im Data-Science-Umfeld entsteht, beseitigt wird.

BMW senkt Fehlerrate um Faktor zehn

In einem Projekt mit BMW beispielsweise konnte mit der RCV Plattform die Pseudofehlerrate um den Faktor zehn von rund zwei auf 0,2% gesenkt werden. Die Erkennung von Pseudofehlern unterstützt zudem die Feststellung von Anomalien in früheren Prozessschritten. Zusätzlich kommt Computer Vision bei BMW auch im Anlaufprozess für die IX-Motoren zum Einsatz. „Dort haben wir die gesamte Entwicklung der Elektromotoren begleitet und teilweise dreimal die Woche neue algorithmische Modelle ausgeliefert, weil die Probleme so schnell gewechselt haben. Das hätte in normalen Szenarien den Rahmen von Programmierkapazitäten gesprengt“, erinnert sich Deepa Kasinathan. Immerhin handelte es sich um sechs Prüfungen parallel in einer Sekunde im produktiven Rollout, direkt in der getakteten Presse.

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