EMVA 1288 Release 4 für neue Bildsensoren und Kameras

EMVA 1288 Release 4 für neue Bildsensoren und Kameras

In Kürze erscheint das Release 4 des EMVA Standards 1288 zur objektiven Charakterisierung von industriellen Kameras. Die neue Version kann für multimodale Bildsensoren sowie für Kameras mit Vorverarbeitung und Optiken benutzt werden.

Das neue generelle Kameramodell des EMVA 1288 Standards Release 4.0 ohne eine Modellbeschreibung. (Bild: EMVA)

Die Entwicklung der Bildsensorik schreitet rasant voran. Bisher dominierten monochrome und Farbbildsensoren mit linearer Kennlinie. Nun kommen immer stärker auch multimodale Bildsensoren auf den Markt: Sensoren mit erweitertem Spektralbereich, insbesondere in den kurzwelligen Infrarotbereich (SWIR) hinein, multispektrale Bildsensoren mit mehr als drei Farbkanälen, Polarisationsbildsensoren und Laufzeitbildsensoren, die auch ein Tiefenbild generieren. Kameras für Fahrerassistenzsysteme und andere Anwendungen in nicht-industriellen Umgebungen treiben die Entwicklung von Kameras mit einem erweiterten Signalumfang voran, die eine nichtlineare Kennlinie aufweisen. Zudem ist nicht nur im Konsumerbereich sondern auch im industriellen Bereich die Tendenz zu beobachten, dass immer mehr Vorverarbeitung bereits in der Kamera stattfindet, um eine bessere Bildqualität zu erreichen.

Bisher: Lineare Kamerakennlinie und keine Vorverarbeitung

Bis zum Release 3.1 war die Anwendung des EMVA Standards 1288 auf Kameras mit einer linearen Kennlinie und ohne Vorverarbeitung, die das zeitliche Rauschen modifiziert, beschränkt. Das führte zu einem einfachen linearen Kameramodell als Grundlage für den Standard. Aus der Beziehung zwischen dem Eingangssignal (während der Belichtungszeit auf ein Pixel auftreffende mittlere Anzahl von Photonen) und dem Ausgangssignal (Mittelwert und Varianz des digitalen Kamerassignals) können die unbekannten Modellparameter, d.h. die Varianz des Dunkelrauschens, die Quantenausbeute und die Systemverstärkung durch eine Beleuchtungsserie vom Dunkelbild bis zur Sättigung bestimmt werden. Dabei spielen die Kennlinie (mittleres Ausgangssignal in Relation zur Bestrahlung in Photonen pro Pixel) und die Photontransferkurve (Varianz des Ausgangssignals in Relation zum Mittelwert des Ausgangssignals) eine zentrale Rolle. Alle weiteren anwendungsbezogenen Parameter, welche die Qualität des Bildsignals beschreiben, wie die absolute Empfindlichkeitsschwelle, die Sättigungskapazität, Dynamic Range und das Signal-Rausch-Verhältnis (SNR) lassen sich daraus berechnen.

Das lineare Kameramodell des bisherigen EMVA 1288 Standards. (Bild: HCI Heidelberg Collaboratory for Image Processing)

Neu: Verzicht auf ein Modell

Bei einer Kamera mit einer nichtlinearen Kennlinie kann das lineare Modell nicht angewendet werden. Die Modellbildung ist schwierig, da man je nach Art der Nichtlinearität nicht ein, sondern viele mögliche Modelle berücksichtigen muss. Die Charakterisierung einer nichtlinearen Kamera oder einer Kamera mit unbekannter Vorverarbeitung ist aber auch ohne Modell möglich. Das liegt an dem universellen systemtheoretischen Ansatz des EMVA 1288. Das Eingangssignal (Photonenzahl) ist durch die absolute Kalibrierung der Bestrahlung des Bildsensors bekannt. Das Ausgangs-SNR lässt sich direkt aus dem Mittelwert und der zeitlichen Standardabweichung des digitalen Kamerasignals bestimmen. Die Kennlinie kann ebenfalls ohne Modellvorgabe gemessen werden. Aus der Steigung der Kennlinie kann die Ausgangs-SNR in die qualitätsbestimmende Eingangs-SNR umgerechnet werden. Daraus ergeben sich, wie beim linearen Kameramodell, die anwendungsbezogenen Qualitätsparameter. Die Photontransferkurve wird bei diesem Ansatz nicht benötigt. Das Entscheidende ist aber, dass die gleichen Messungen wie bisher durchgeführt werden. Abhängig von den Eigenschaften der Kamera kann die Auswertung nach dem linearen oder generellen Modell benutzt werden. Entsprechend ist der Standard in zwei Dokumente aufgeteilt. Die generelle Auswertemethode wird im Dokument ´Release 4.0 General´ beschrieben, die nach dem linearen Modell, als direkte Fortführung des Release 3.1, im Dokument ´Release 4.0 Linear´.

Zahlreiche Erweiterungen

Außer der nun zwei Auswertemöglichkeiten umfasst Release 4.0 zahlreiche Erweiterungen, um moderne Bildsensoren und Kameras applikationsgerecht charakterisieren zu können:

  • • Erweiterter Wellenlängenbereich vom UV bis SWIR
  • • Rohdaten beliebiger Bildaufnahmemodalitäten können charakterisiert werden. Damit wurde eine gängige Praxis explizit in den Standard aufgenommen.
  • • Am Beispiel der Polarisationsbildsensoren wird gezeigt, wie die Analysetools des EMVA 1288 auch auf aus mehreren Kanälen berechnete abgeleitete Größen angewendet werden können.
  • • Moderne CMOS-Sensoren erfordern eine erweiterte Charakterisierung der Inhomogenitäten. Im Gegensatz zu CCD-Sensoren können CMOS-Sensoren charakteristische spalten- oder zeilenorientierte Inhomogenitätsmuster aufweisen. Daher werden die Inhomogenitäten nun in Spalten-, Zeilen-, und Pixelvariationen zerlegt.
  • • Optional können nun auch Kameras mit Optiken oder Beleuchtung nach dem Standard vermessen werden. Damit ist dieser nun auch für Bildsensoren mit zum Rand hin verschobenen Mikrolinsen geeignet.
  • • Ein besser geeignetes Maß für die Linearität der Kennlinie wird eingeführt.
  • • Die doppelt-logarithmische Darstellung des SNR als Funktion der Bestrahlung wird erweitert. Neben der Modellkurve für das totale SNR, das sowohl zeitliches Rauschen als auch die räumliche Variation durch die Inhomogenitäten berücksichtigt, werden jetzt zusätzlich Messpunkte für alle Intensitätsstufen dargestellt.

Fazit

Mit der Release 4.0 erweitert sich das Spektrum der Bildsensoren und Kameras, die nach dem EMVA Standard 1288 vermessen werden können, deutlich. Neben monochromen und Farbbildsensoren kann der Standard auch für UV-, SWIR-, multispektrale, Polarisations- und bildverstärkende Kameras sowie EM-CCDs, multilineare oder andere Kameras mit erweitertem Signalumfang (HDR) und Optiken benutzt werden. Ebenso kann der EMVA 1288 auf Kameras mit Vorverarbeitung wie Rauschunterdrückung oder Bildverschärfung angewendet werden. Lediglich für (Noch)-Exoten wie neuromorphe bzw. event-basierte Kameras ist Release 4.0 noch nicht geeignet. Allerdings haben die Vorarbeiten bereits begonnen, um diese Kameras zukünftig auch charakterisieren zu können. Der Release-Kandidat wird voraussichtlich im Spätsommer 2020 publiziert.

HCI Heidelberg Collaboratory for Image Processing

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