Ready for Take-off

Ready for Take-off

Rotierendes Kamerasystem zur Deformationsmessung von Rotorblättern

Um die Deformation von Rotor- oder Propellerblättern zu ermitteln, hat ein Team des DLR ein optisches berührungsloses Mess- und Diagnostiksystem entwickelt, mit dem das Blatt eines Flugzeugpropellers unter realen Flugbedingungen beobachtet werden kann. Das mit einer speziellen stereoskopischen Kamera und einem Single-Board-Computer ausgestattete System wird dirket auf der Propellerachse montiert.
Die hierbei verwendete optische Messtechnik IPCT (Image Pattern Correlation Technique) [1] bietet erstmals die Möglichkeit, die Form und Lage sowie die Deformation von Propeller- oder Rotorblättern im Flugversuch berührungslos experimentell mit hoher Genauigkeit zu messen. IPCT ist eine optische Messmethode, die auf digitaler Bildkorrelation basiert. Das zu untersuchende Objekt wird mit zwei Kameras aus leicht verschiedenen Blickwinkeln, das heißt einer stereoskopischen Anordnung, aufgenommen (Bild 2). Ein Korrelationsalgorithmus identifiziert in beiden Kameras kleine Bildbereiche in Pixelkoordinaten, welche exakt den gleichen Ausschnitt des Objektes beinhalten. Ein auf das Objekt aufgebrachtes stochastisches Punktemuster unterstützt hierbei diese Bildkorrelation. Mit Kenntnis der Position und Lage beider Kameras im Raum lassen sich anschließend die korrespondierenden Pixelbereiche virtuell in den Raum zurück projizieren (bzw. triangulieren) und es ergibt sich die 3D-Position des entsprechenden Punktes auf dem Untersuchungsobjekt. Wird der Algorithmus nun auf das gesamte Bild angewandt, ergibt sich die gemessene 3D-Oberfläche und deren Lage im Raum. Ein Vergleich der ermittelten 3D-Oberflächen für verschiedene Lastfälle (z.B. Leerlauf und voller Schub) ergibt letztlich die Deformation des untersuchten Objektes. Die typische Genauigkeit der Messungen liegt aktuell bei ca. 0,2 Pixeln. Abhängig von den verwendeten optischen Komponenten, der Kameraauflösung und den Sichtbedingungen ergeben sich Genauigkeiten im Submillimeterbereich. Die angegebene lokale Messgenauigkeit liegt zwar unter der mit herkömmlichen Methoden (z.B. Dehnmessstreifen) erreichbaren, der Vorteil der IPCT liegt jedoch darin, dass mit ihr die Deformation berührungslos und kontinuierlich über eine große Fläche gemessen werden kann. Weiterhin ergibt sich die Form und Lage der vermessenen Fläche im Raum als direktes Messergebnis und muss nicht, wie bei Dehnmessstreifen, aus den Messwerten aufwendig abgeleitet werden. Ist die 3D-Geometrie des zu untersuchenden Objektes bekannt, z.B. aus CAD-Daten, kann die Genauigkeitsabschätzung über die gesamte Messfläche erfolgen.

Starke Vibrationen bis 20g

Um die berührungslose Propellerdeformation im Freiflug durchführen zu können, wurde ein aufwendiges IPCT-Bildakquisitionssystem (Bild 3) entworfen. Das Stereokamerasystem arbeitet autark und wird anstelle des sogenannten Spinners auf der Propellerachse starr montiert, wodurch es zusammen mit dem Propeller rotiert. Die Stereokamera des Systems ist auf ein Blatt des Propellers ausgerichtet, das mit einem stochastischen Muster versehen ist. Im Gegensatz zu einem im Flugzeugrumpf statisch platzierten IPCT-Messsystem erlaubt die vorgestellte Lösung die Beobachtung des Blattes über den gesamten Umlauf. Das System musste komplett neu entworfen werden, da für eine Integration von Kameras auf der rotierenden Achse eines Flugzeugpropellers keine geeigneten Standardkomponenten verfügbar waren. Das patentierte System besteht überwiegend aus speziell für diesen Zweck entwickelten Komponenten, wie doppelter (Stereo-) CMOS-Kamera, digitaler Phasenschieber, Bilderfassungskarte, Reflexlichtschranke, um den Nullwinkel des Propellers zu bestimmen, und einem Single-Board-Computer (siehe Kasten). Das PCI/104-Express-Board basiert auf dem Intel-Core-i7 Prozessor der zweiten Generation und ist mit WLAN, GPS und zwei GBit/s LAN-Ports ausgestattet. Um einen vom Flugzeug autarken Betrieb zu ermöglichen, werden alle Bauteile von insgesamt vier aufladbaren LiFePO-Akkus mit insgesamt 14,8V und 3.500mAh gespeist. Der Betrieb des Systems erfolgt durch eine eigens dafür entwickelte Steuersoftware und ist so ausgelegt, dass die Bilder während des Fluges vollkommen selbsttätig akquiriert werden. Allerdings kann die Funktion von einem mitfliegenden Flugversuchsingenieur permanent überwacht werden. Das auf dem realen, rotierenden Propeller montierte System unterliegt starken Vibrationen (bis 20g im Bereich von 20 bis 150Hz). Darüber hinaus wird es bei einer Drehzahl von 2.700U/min erheblichen zentrifugalen Kräften ausgesetzt. Um die Beschädigung der Elektronik zu vermeiden, wurden die Platinen in einem steifen Metallrahmen verankert.

Wirkungsweise des Systems

Durch die Laserlichtschranke, die auf einen Reflektor am Motorgehäuse des Flugzeuges zielt, wird pro Umlauf ein Trigger-Impuls erzeugt. Je nach Einstellung des Phasenschiebers wird dann entweder direkt zum Zeitpunkt des Trigger-Pulses oder mit einer voreingestellten Phasenverschiebung simultan ein Stereobildpaar aufgenommen. Die Phasenverschiebung kann entweder auf einen festen Wert eingestellt werden, sodass die Bildaufzeichnung unabhängig von der Propellerdrehzahl immer zur gleichen Phasenlage des Propellerblattes erfolgt, oder die Phasenverschiebung ändert sich mit jedem Umlauf um ein voreingestelltes Inkrement, sodass über mehrere Umläufe ein gewisser Phasenwinkelbereich (auch bis zum vollen Umlauf) aufgezeichnet wird. Das Prinzip dieses Phasenschiebers wird von einem Patent in mehreren Ländern geschützt. Die aufgezeichneten Kamerabilder werden mittels zweier GigE-Schnittstellen an den Single-Board-Computer übermittelt und dort in Echtzeit zusammen mit den aktuellen GPS-Daten (Zeit, Position) auf eine SSD-Festplatte abgespeichert. Mittels der WLAN-Verbindung lassen sich die aufgezeichneten Bilder während des Fluges in der Kabine begutachten und gegebenenfalls die Bilderfassungsparameter ändern. Die gesamten erfassten Bilddaten können nach dem Test entweder via WLAN, USB-Verbindung oder über Austausch der SSD-Festplatte entnommen und der IPCT-Auswertung zugeführt werden.

Systemtests und Messvorbereitung

Das komplette System wurde zunächst im DLR-Labor einem Vibrations- und Rotationstest unterzogen. Der erste mechanische Bodentest wurde auf dem Flughafen in Rzeszów (Polen) während des AIM²-Worshops (Advanced In-flight Measurement Techniques 2), einem von der EU im 7. Rahmenprogramm geförderten Projekt, durchgeführt. Neben einem ersten Montagetest fanden dabei die Erprobung verschiedener Punktmuster und ein erster Bodentestlauf mit rotierendem Propeller statt. Zusätzlich zu den Erprobungen der Kamera-Hardware erfolgte das Generieren des für die IPCT-Messung erforderlichen Musters. Für die finale Musterauslegung wurde ein auf CATIA V5 basierendes Digitales-Mock-up (DMU) benutzt, in welchem die späteren Kamerabilder mithilfe von 3D-CAD-Modellen der Apparatur simuliert werden können. Um eine für die IPCT-Auswertung optimale gleichmäßige Punkt- und Markergröße zu erhalten, muss das Muster entsprechend zur Blattspitze hin progressiv ausgelegt werden. Weiterhin werden Punkte und Marker entsprechend gedehnt. Dadurch erscheinen die Punkte aus der flachen Perspektive der beiden Kameras als rund und gleich groß, was zur optimalen Nutzung der Kameraauflösung und Maximierung der Genauigkeit auf der ganzen Blattoberfläche führt. Ein weiterer Schritt der Vorbereitung ist die Montage der Kamera an dem Propeller und das Auswuchten des gesamten Messaufbaues. Im Anschluss wurden die Kameraoptiken eingestellt und erste Testbilder aufgenommen. Diese stimmen mit den in der DMU simulierten Bildern überein und demonstrieren damit die einwandfreie Funktionsweise der DMU.

Flugversuch und Kalibrierung

Der fertig vorbereitete Propeller wurde zusammen mit der rotierenden Kamera am Flugzeug befestigt und das System für den Flugversuch konfiguriert. Hierzu bietet die neu entwickelte rotierende Kamera zusätzlich zur ´Remote-Desktop-Bedienung´via WLAN alternative Anschlussmöglichkeiten für Monitor, Tastatur und Maus. Nach der Montage der Kamera am Flugzeug und einem ersten Funktionstest erfolgte die für die Messtechnik IPCT erforderliche Kamerakalibrierung. Diese dient dazu, den Bezug zwischen Weltkoordinaten (=wirklichen 3D-Koordinaten des Rotorblattes) und Kamerasensorkoordinaten (=Zeile und Reihe in den jeweiligen Kamerabildern) herzustellen. Im Rahmen der Kalibrierung werden durch Aufzeichnen einer sogenannten Kalibrierplatte mit bekanntem Schachbrettmuster unter verschiedenen Winkeln die Lage und Position der beiden Kameras, der Abbildungsmaßstab, sowie die Linsenverzeichnung ermittelt. Nachdem das System fertig konfiguriert und kalibriert war, konnten die Akkus eingebaut und der eigentliche Flugversuch gestartet werden. Es wurden bei der Flugversuchskampagne insgesamt vier Flüge durchgeführt. Im Rahmen jedes der ca. 30 minütigen Flüge wurden verschiedene Manöver mit unterschiedlichen Propellereinstellungen geflogen. Insgesamt wurden ca. 400GByte an Bilddaten aufgezeichnet. Die Bildaufzeichnung erfolgte sowohl mit fest eingestelltem als auch mit kontinuierlich verändertem Phasenwinkel.

Auswertung

Die aufgezeichneten Bilder wurden nach dem Flugversuch mit einer in Matlab erstellten IPCT-Software ausgewertet. Die linke Seite in Bild 4 stellt das maskierte Bild von Kamera 1 dar, die rechte das durch Korrelation mit der linken Seite entzerrte Bild von Kamera 2. Die dabei erhaltenen korrespondierenden Bildkoordinaten in Kamera 1 und Kamera 2 werden anschließend unter Kenntnis der mit der Kalibrierung ermittelten Kameraparameter trianguliert und somit die 3D-Oberfläche des aufgezeichneten Propellerblattes rekonstruiert. Mit den gewonnenen Erkenntnissen lassen sich nun auch einfach rotierende optische Präzisionsmessgeräte wie z.B. Hubschrauberrotoren oder Rotoren von Windenergieanlagen realisieren.

[1] Boden, Fritz; Kirmse, Tania; Jentink, Henk (2013) Image Pattern Correlation Technique (IPCT). In: AIM² Advanced Flight Testing Workshop – Handbook

of Advanced In-Flight Measurement Techniques BoD – Books on De- mand, Norderstedt. Seiten 63-85. ISBN 978-3-7322-3740-1.

Autoren | Fritz Boden und Boleslaw Stasicki, Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR), Institut für Aerodynamik und Strömungstechnik PCI/104-Express-Single-Board-Computer

Mit dem ADLQM67PC bietet ADL Embedded Systems einen Single-Board-Computer (SBC) im PCI/104-Express-Format. Der SBC basiert auf einem Intel-Core-i7 Prozessor der zweiten Generation mit einer Taktrate von 2,2GHz. Er verfügt über zwei SATA 6Gb/s-Kanäle mit RAID-Level-0/1 zur Datenspeicherung auf SSD/HD-Speichermedien. Darüber hinaus sind acht USB 2.0-, zwei RS232-COM- und zwei 10/100/1000-MBit/s LAN-Ports sowie ein 7.1-Kanal-HD-Audio-Interface vorhanden. Als Arbeitsspeicher stehen bis zu 4GByte DDR3-1333-DRAM zur Verfügung. Für die Grafikverarbeitung nutzt er den im Intel-Core-Prozessor integrierten Grafikkern mit bis zu 512MByte DVMT-Videospeicher. Zur Videoausgabe dienen ein VGA-Analog-Monitor mit Auflösungen bis zu 2.048×1.536 Bildpunkten und/oder 18/24-Bit-LVDS-Displays mit 1.920×1.200 Pixeln.

www.adl-europe.com

Das könnte Sie auch Interessieren

Bild: ©Ryan/stock.adobe.com
Bild: ©Ryan/stock.adobe.com
Potenziale des Quantencomputings für die Bildverarbeitung

Potenziale des Quantencomputings für die Bildverarbeitung

Das Versprechen des Quantencomputings, komplexe Probleme mit bisher unerreichter Geschwindigkeit zu lösen, eröffnet neue Horizonte in zahlreichen Bereichen. Auch in der Bildverarbeitung könnten die Prinzipien der Quantenmechanik und deren Anwendung in Quantenalgorithmen zu signifikanten Fortschritten führen. Doch während die theoretischen Grundlagen vielversprechend sind, steht die praktische Umsetzung noch vor einigen Herausforderungen.