20 Jahre berührungslose Temperaturmesstechnik

Infrarot aus Berlin

Vor 20 Jahren hat Dr. Ulrich Kienitz in Berlin das auf Infrarot-Messtechnik spezialisierte Unternehmen Optris gegründet. Anlässlich dieses Jubiläums hat die Redaktion mit dem Firmengründer und -inhaber gesprochen.
Bild: Optris GmbH
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Herr Kienitz, Sie kommen aus Dresden, dem Infrarot-Hotspot der deutschen universitären Landschaft. Wann wurde Ihnen persönlich klar, dass Infrarot-Technik Ihre berufliche Zukunft sein wird?

Dr. Ulrich Kienitz (UK): Wir hatten das Glück, an einer speziellen Ausbildung in Dresden teilzunehmen, welche sich mit Infrarottechnik beschäftigte. Diese umfasste einerseits Technologien zu Präzisionsinstrumenten und andererseits Themen wie Optik, Elektronik und Software – alles, was man für die Infrarot-Technik braucht. Diese Technik eröffnete mir eine neue thermische Welt, und meine Leidenschaft vertiefte sich allmählich von meiner Rolle als Hilfsassistent im Jahr 1976 bis zu meiner Anstellung als Assistent im Jahr 1986, zusammen mit den nachfolgenden Erfahrungen auf meinem beruflichen Weg.

Wie entwickelten sich die Technologie und die technische Verwendung der Infrarot-Technik?

Die Infrarot-Technik begann schon vor beinahe 150 Jahren, als man in einen Hohlspiegel ein kleines Thermo-Element gesetzt hat, und überall dort, wohin man den Spiegel gerichtet hat – vor allem, um bei Nebel Schiffe zu entdecken -, dort hat man über die Temperaturanzeige gesehen, dass man da etwas diagnostizieren kann, was eigentlich unsichtbar war. Das Besondere am Infrarotlicht ist, dass man das Leuchten eines Objekts – und das ist jedem Objekt eigen – nachweisen kann. In den 1920er-Jahren wurden Glühfadenpyrometer als optische Methode zur Temperaturmessung eingeführt. Einfacher ausgedrückt: Man schaute durch eine Linse und stellte die Helligkeit einer Lampe so ein, dass sie nicht mehr von dem zu beobachtenden Objekt zu unterscheiden war. Im Laufe der Zeit hat sich diese Technologie erheblich weiterentwickelt und es wurden hochentwickelte Infrarot-Pyrometer und Kameras entwickelt, die in der Lage sind, von Objekten ausgestrahltes Infrarotlicht zu erkennen. Die Anwendungen sind heute vielfältig und reichen von industriellen Prozessen wie der Stahlherstellung und der Lebensmittelverarbeitung bis hin zu medizinischen Diagnosen, Gebäudeinspektionen oder der Umweltüberwachung.

Bild: Optris GmbH

Was sind denn die wichtigsten technologischen Entwicklungen der letzten 20 Jahre, seit es Ihr Unternehmen gibt?

Die Fortschritte bei den Halbleitern waren die Voraussetzung dafür. Die Halbleitertechnologien haben unser gesamtes Leben verändert. Es begann mit Computern, die immer kleiner wurden, und irgendwann fanden sie ihren Platz in Handys. Aber Halbleitertechnologien und – insbesondere das, was man als Micro-Machining bezeichnet -, haben auch in der Welt der Infrarotdetektoren große Fortschritte gemacht. Heute erreichen dünne Bolometer-Schichten fast das gleiche Leistungsniveau wie alte Kamerasysteme mit rotierenden Prismen, Filtern und mit Flüssigstickstoff gekühlten Detektoren – und das zu geringeren Kosten. Dies war die eigentliche Revolution, denn das Preis-Leistungs-Verhältnis ermöglichte einen breiten Einsatz in verschiedenen Branchen, einschließlich der Temperaturmessung.

Welche Rolle spielt bei den Infrarot-Kameras die Qualität der Software?

Die Software besteht aus zwei Teilen. Der eine ist die so genannte FPGA-Software, mit parallel arbeitenden Prozessoren, die auf der Infrarotkamera laufen. Die Herausforderung besteht darin, eine große Menge an Daten vom Detektor zu verarbeiten und sie schnell weiterzuleiten. Der andere Teil besteht darin, dass die Bildverarbeitungssoftware die Daten in Temperaturinformationen umwandelt, indem sie die Kalibrierung berücksichtigt und Faktoren wie den Emissionsgrad ausgleicht. Die Qualität der Software in Infrarotkameras und die Bildverarbeitungsfunktionen werden immer wichtiger, da sich benutzerfreundliche Schnittstellen, Datenanalyse, Fernüberwachung, Sicherheit und nahtlose Integration in andere Systeme direkt auf die Leistung und Benutzerfreundlichkeit der Kamera auswirken können. Dies ist ein wichtiger Aspekt bei der Auswahl einer Infrarotkamera für verschiedene Anwendungen.

Wie hat sich das Produktspektrum von Optris in den zwanzig Jahren entwickelt?

Wir begannen mit einem einzigen Punkt-Sensor. Er bestand aus einem kleinen Sensorkopf und einem Handgerät. Damals glaubten wir, dass mehr Infrarot kein Mensch brauche. Aber die Dinge entwickelten sich anders. Wir haben unser Produktportfolio erweitert, um verschiedene Anwendungen abzudecken, insbesondere in der Metall-, Glas- und Kunststoffverarbeitung, und haben spezielle Pyrometer entwickelt. Etwa fünf oder sechs Jahre nach der Gründung des Unternehmens haben wir Wärmebildkameras für industrielle Anwendungen entwickelt. Diese Kameras können mehr oder weniger automatisch den Hot Spot erkennen und Temperaturinformationen in die Steuerung eines industriellen Prozesses einspeisen. Während sie in der Vergangenheit vor allem als Gerät für Forschungs- und Entwicklungszwecke eingesetzt wurden. Heutzutage verwenden die Kunden diese Komponenten als Maschinenteile.

Welche Ihrer Anwendungen in den vergangenen 20 Jahren waren besonders außergewöhnlich?

Unsere Kameras wurden etwa auf Drohnen eingesetzt, die z.B. Solarzellenfelder inspizieren können; man konnte damit herausfinden, welche Solarzellen einer Großanlage in Ordnung und welche eventuell defekt sind. Es gab auch vom Fraunhofer Institut geförderte Anwendungen, mit denen man Rehkitze auf einer Wiese erkennen und sie vor der Mahd bergen konnte. Auch während der Corona-Pandemie hat man viele unserer Kameras auf Flughäfen eingesetzt, weil man mithilfe der Kameras erkennen kann, ob jemand eine erhöhte Körpertemperatur hat.

Gibt es ein technologisch oder wirtschaftlich besonders herausragendes Produkt Ihres Unternehmens? Der technologische Durchbruch für uns war, den Geschäftsbereich der Punktmesstechnik mit dem der Kameratechnik zu kombinieren. Dies ist die Grundlage für unsere sehr erfolgreiche Xi-Produktlinie. Wir haben jetzt Geräte, die wie Pyrometer aussehen – eine Röhre mit einem Ausgangssignal von 4-20 mA – aber als einfach zu bedienende, autonome Kameras arbeiten. Diese Geräte zeichnen auf, werten Bilder aus und liefern selbstständig intelligente Temperaturinformationen an die Prozesssteuerung. Werden Infrarot-Kameras die Pyrometer dann irgendwann vom Markt verdrängen?

Das glaube ich nicht. Wir haben derzeit etwa 820.000 Pyrometer und etwa 30.000 Kameras weltweit installiert. Die meisten Maschinenhersteller verwenden unsere Geräte, um zu erkennen, ob eine kritische, stationäre Komponente heiß ist. Punktsensoren sind dafür oft ausreichend. Außerdem erfordern Metall-, Glas- oder Kunststoffanwendungen oft andere Spektralbereiche oder Zweifarben-Pyrometer. Dennoch entwickelt sich die Infrarot-Bildgebung ständig weiter. Aufgrund des günstigen Preis-Leistungs-Verhältnisses sind einzelne Sensoren und Kameras für Maschinenhersteller zunehmend attraktiv geworden.

Bild: Optris GmbH

Was wird in Ihrem Unternehmen am Standort Berlin produziert und was wird zugekauft?

Wir sind sehr international aufgestellt. Auf der Vertriebsseite sind wir zu 75 Prozent ein Exporteur. Und zu einem ähnlichen Prozentsatz kaufen wir Komponenten und Subkomponenten bzw. Module ein, die zum Teil aus den USA und Frankreich kommen, während Spritzguss- und Kunststoffteile – auch einige elektronische Komponenten – aus Asien kommen. Die Fertigung selbst tut all die Dinge, die notwendig und spezifisch für Infrarottechnologie sind: die Endmontage, die Kalibrierung, bestimmte Prozessschritte wie das Ausmessen von optischen Komponenten, die wir zu Objektiven montieren.

Optris gehört zu den Marktführern des Infrarotbereichs in Europa, wie wird man das?

Wir produzieren fest installierte Pyrometer und Kameras für die industrielle, berührungslose Temperaturmessung. Was uns von anderen Wettbewerbern unterscheidet, ist ein hervorragendes Preis-Leistungs-Verhältnis. Wir haben nicht den Anspruch, die preisgünstigsten Geräte anzubieten, aber wir haben den Anspruch, dass Preis geteilt durch Leistung einen sehr guten Wert hat. Damit sind wir als OEM-Supplier für Maschinen- und Anlagenbauer ein gefragter Partner. Wir sind sehr volumenorientiert und nutzen einen indirekten, weltweiten Vertriebskanal. Das hat den Vorteil, dass wir große Mengen bei unseren Lieferanten einkaufen können.

Gibt es in diesem Jubiläumsjahr bei Ihnen innovative Produkte, eine ‚Jubiläums-Edition‘?

Unsere Entwicklungsingenieure sind immer aktiv beim Herstellen neuer Produkte und Plattformen. In diesem Jahr führen wir ein neues, sogenanntes Verhältnis-Pyrometer mit Videofunktionalität ein; das ist ein Punktmessgerät, welches in zwei verschiedenen Spektralbereichen misst. Neu daran ist, dass für das Visieren hochauflösende Bildschaltkreise verwendet werden. Diese Videoschaltkreise erlauben es, ein Messobjekt sehr genau anzuvisieren und einen bestimmten Alarmfall zu dokumentieren, indem nicht nur erfasst wird, wo eine Temperatur zu hoch ist, sondern auch, wie das Werkstück aussah, als es zu heiß war. Wir haben also das Visieren des Objekts auch elektronisch gemacht, so dass man in dem angeschlossenen Mobiltelefon sehen kann, wohin das System guckt; und ich kann mit einem solchen Verhältnis-Pyrometer auch bei stark verschmutztem Fenster immer noch genau messen.

Wie wird sich die Infrarot-Messtechnik in den nächsten 20 Jahren weiterentwickeln?

Obwohl wir auf verschiedenen Märkten tätig sind, bleibt unsere Fähigkeit zur schnellen Anpassung an neue technologische Fortschritte und neue Märkte unverändert. Wir verfügen über einen deutlichen Vorteil, da die physikalische Einheit Temperatur weltweit die am zweithäufigsten gemessene Größe ist, nur übertroffen von der Zeit. Unsere Fähigkeit, uns an neue Anwendungen anzupassen, ist bemerkenswert schnell. Im 3D-Druck überwachen unsere Kameras die Temperaturen im Pulverbett, während wir in der Solarzellenproduktion die Produktqualität während des gesamten Herstellungsprozesses sicherstellen. In den Fertigungslinien für die Elektromobilität überwachen unsere Geräte die Temperatur der einzelnen Batteriezellen und geben frühzeitig Hinweise auf den Austausch einzelner Komponenten, um mögliche Probleme proaktiv zu vermeiden. Wir sind sicher, dass sich dieser Trend fortsetzen wird. In Kontexten, in denen energieintensive und hitzebedingte Prozesse von entscheidender Bedeutung sind, wird Energieeinsparung unumgänglich, und unsere Temperatursensoren sind ein Werkzeug, um mehr Erkenntnisse zur Optimierung zu gewinnen. Überall auf der Welt spielen unsere Geräte in dieser Hinsicht eine wichtige Rolle.

www.optris.com

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