Expertenrunde ‚Die Messtechnik der Zukunft‘ – Teil 1/2

Wie weit ist die heutige Messtechnik bereits an ihren technischen Grenzen und welche Rolle spielt die Software?

Modrich: Das eine ist die Sensorik mit neuen Sensorprinzipien, angefangen von taktil/optisch, hyperspectral oder CT. Auf Basis dieser neuen Technologien können Sie bei verschiedenen Applikationen und Oberflächen unterschiedliche Genauigkeiten erreichen. Ferner spielt es eine Rolle, wo sie das tun, d.h. Inline, in einer Produktionsumgebung oder in einem Messraum. Auf der anderen Seite ist das Thema Software. Diese kann eingesetzt werden, um ein Messsystem zu steuern oder, komplett in den Produktionsprozess integriert, eine komplette Produktion zu steuern und zu regeln.

Wohlfeld: Dadurch, dass es immer stärker in Richtung Automatisierung geht, wird berührungsloses Messen immer wichtiger. Zudem kann man bei verschiedenen Wellenlängen messen, wodurch sich neue Applikationen erschließen, die vor vielen Jahren noch zu teuer oder technologisch nicht umsetzbar waren.

Wirth: Zudem verbessert sich die Empfindlichkeit der Sensoren und die Leistungsfähigkeit der Computer. Wir sehen das bei Punktewolkensensoren, die mittlerweile auch Inline zum Einsatz kommen. Spannend sind neue Kameratechnologien, wie z.B. Polarisation.

Christoph: Natürlich hat die Software einen hohen Stellenwert, z.B. bei der Auswertung, aber die Physik spielt immer noch eine wichtige Rolle. Wir entwickeln regelmäßig neue Hardwarekomponenten, um die Sensorik weiter zu verbessern. Das nicht nur in der CT, die es in der Messtechnik erst seit 15 Jahren gibt, sondern auch im Bereich der konventionellen Bildverarbeitung, weil auch dort noch nicht alles ausgereizt ist.

Reich: Wir bieten bereits seit 1995 optische 3D-Messtechnik an. Das eigentliche Messprinzip, also Triangulation in Verbindung mit Streifenprojektion, hat sich seitdem nicht verändert, die Algorithmik dahinter aber schon. Hier helfen technologische Entwicklungen im Bereich der Kameras und Beleuchtungseinheiten. Dadurch ergeben sich neue Möglichkeiten, um noch schneller und präziser zu werden.

Wo findet die Messtechnik der Zukunft statt: Im Messlabor oder produktionsnah bzw. Inline?

Modrich: Das kommt darauf an, was sie tun wollen. Wollen Sie in einem Bereich messen, bei dem wir über µm sprechen und es klare Festlegungen, Normen und Richtlinien gibt, wo Genauigkeiten definiert sind? Dann haben Sie dort auch die entsprechenden Randbedingungen einzuhalten, die in einem Messraum gegeben sind. Diese Randbedingungen haben Sie aber in einer Produktion de facto nicht. Der Kunde muss sich darüber im Klaren sein, will er Messwerte erfassen, mit denen er entsprechende metrologische Ansätze und Qualitätsaspekte verfolgt, oder geht es ihm um das Thema Prozesskontrolle, bei der ich auf Basis der Daten Produktionsprozesse steuern und regeln will. Das sind völlig unterschiedliche Aufgabenstellungen.

Christoph: Hochgenaue Messaufgaben gibt es auch in der Fertigung, z.B. bei Einspritzsystemen für einen Motor. Dort sind Toleranzen im unteren µm-Bereich zu prüfen und dort kommt die Messtechnik, egal ob in der Fertigung oder im Messraum, an ihre Leistungsgrenzen. Es ist wichtig, dass es dort eine durchgängige Unterstützung der Anwendung gibt. Durchgängigkeit ist entscheidend. Es macht wenig Sinn, im Messraum mit einer Technik zu messen, die man später bei der Fertigungsüberwachung nicht zur Verfügung hat. Messräume wird es aus meiner Sicht immer geben. Was neu hinzu kommt, ist aber im stärkeren Maße eine fertigungsintegrierte Messtechnik.

Beyer: Rein aus Normensicht und Zertifizierungsgründen wird man das Messhaus auch zukünftig brauchen, um bestimmte Aussagen treffen zu können.

Wirth: Wenn wir auf den Automobilbau schauen, gibt es dort einen klaren Trend, Messtechnik von den Messhäusern direkt an die Linie zu verlagern. Dort haben wir aber mit völlig anderen Herausforderungen zu kämpfen, bei denen z.B. auch die Temperaturveränderung des Objekts rechnerisch zu berücksichtigen ist.

Reich: Bauteile werden nicht im Messraum produziert, sondern in der Produktion. Die Umgebungsbedingungen dort sind ganz andere. Man wird zukünftig viel mehr Entscheidungen aufgrund von Messdaten treffen, die direkt in der Produktion erhoben werden, weil diese häufig bezüglich Prozess und Qualität relevanter sind als die Aussagen aus dem Messraum.

Wohlfeld: Ich bin bei Arena 2036, einem Forschungscampus an der Universität Stuttgart, zuständig für den digitalen Zwilling. Dabei geht es auch darum, wie man starre Produktionslinien auflösen und modularer werden kann. Was bedeutet dies für die Messtechnik? Die Frage ist, ob man bei Qualitätsproblemen immer gezielt vor Ort Messtechnik einsetzen muss, oder nur dann, wenn man sie wirklich braucht und danach das System wieder an einer anderer Stelle einsetzt. Man muss also nicht überall eine Inline-Inspektion haben, sondern nur gezielt dort, wo man aktuell Fehler erkennt. Low-Cost-Sensoren werden zudem immer günstiger und können daher überall eingebaut werden, um Tendenzen zu erkennen. Bei einem Fehler kann ich dann immer noch gezielt an den Punkten automatisiert nachmessen, wo ich es benötige.

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inVISION 4 2019

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